August 8, 2010



Café zur unerfüllten Erwartung

Beim Äußerln mit meinem Rauhaardackel Hiasl kehre ich nachts gern im Café Sport ein. Neben dem Eingang steht die Jukebox. Aus ihr erklingt „Milord“. Die Piaf, der Brel oder griechische Musik im steten Wechsel, man meint, vor der Tür ist der Pigalle oder das Meer, dabei ist es nur die Schönlaterngasse.

Die Frau Sport, wie wir die Koberin nennen, keiner weiß, wie sie in echt heißt, thront gegenüber mit ihrem mächtigen Allerwertesten auf einem Podest hinter der Kassa und wirft düstere Blicke durch ihre Lokalität, damit sich keiner aufführt. Steffi, die Kellnerin, die höchstens ein Viertel vom Volumen ihrer Chefin hat, lehnt neben ihr und süffelt ihr Achterl Weißwein, ohne das sie das Beisl kaum ertragen kann, vermute ich.
Ich bestelle wie immer einen kleinen Braunen und winke Xenos zu, der schon zum Inventar gehört, seit er vor vielen Jahren von Kreta nach Wien ausgewandert ist. Den Hiasl binde ich an ein Bein des Billardtisches, den seit Jahren keiner mehr nutzt. Naja, ganz stimmt das nicht. Der Hermann Schürrer speibt ab und zu drauf, wenn er zu viel gesoffen hat. Manchmal auch, wenn er stocknüchtern ist und todunglücklich, weil keiner seine Literatur versteht. „Ihr Banausen“, schreit er dann verzweifelt und fährt sich durchs wild abstehende Haar, „ich erbreche mich auf euch, ihr ahnungslosen Pervertierten der Gesellschaft!“ Und dann speibt er auf den Billardtisch.
Der Joe Berger, seines Zeichens ebenfalls Literat, spielt gern mit Freunden Free-Schach auf dem zerschlissenen grünen Filz. Das geht so: Einer sagt, er ziehe mit dem Bauern zur Königin, um sie zu vögeln. Der Gegner sagt, er würde dann mit dem Ross den Bauern niedertreten, u.s.w. Sie spielen ohne Schachfiguren, deswegen heißt es ja Free-Schach.
Steffi bringt mir den kleinen Braunen – der ist nur hier so gut.
Schon wieder „Milord“.
Die Malerrunde der Wiener Surrealisten trudelt gerade ein, sie hat einen Tisch dauerreserviert. Steffi löst sich von ihrem Veltliner, zählt die Künstlerköpfe und öffnet Bierflaschen für sie. „Eines Tages werden sie schon bezahlen“, sagt sie, weil die Frau Sport einen schiefen Mund macht.

Normal verkehren hier keine Fremden. Der eine scheint sich aber wohlzufühlen, er hat den Arm auf die Jukebox drapiert und schlägt mit der Spitze seines Westernstiefels den Takt. Dazu grinst er jeden an, der ihn mustert. Wieder wirft er Geld in den Schlitz.
Zum dritten Mal „Milord“. Jetzt reißt Xenos die Geduld. Er wirft das lange Grauhaar in den Nacken, stürzt sich auf den Eindringling und schlägt ihm die Schillinge aus der Hand. Frau Sport schickt Steffi los, aber der alte Grieche fegt sie beiseite, ehe er den Unbekannten eigenhändig aus dem Café wirft. Dann drückt er B 2, Theodorakis’ Sirtaki. Die Platte kratzt und krächzt, weil sie so oft abgespielt wird.
Schürrer hat sich auf dem Billardtisch zusammengerollt, er schläft. Nicht einmal der Prissnitz kann ihn wecken, dabei will der Poet ihm doch nur sagen, eher ins Ohr brüllen, dass ein Text von ihm abgedruckt wird.
Der Joe Berger versucht, seinen beginnenden Lungenkrebs wegzurauchen, heute hat er keinen Spielpartner gefunden. Er hustet und deklamiert aus Hänsel und Gretel, weil er dabei ist, Grimms Märchen neu zu schreiben.
Am Tisch der Surrealisten hat eine der Malerfrauen ihren Pulli ausgezogen. Ihre Brüste sind gebräunt vom letzten Urlaub in Positano.
Xenos lacht, ihm fehlen die Schneidezähne oben, aber „Hopa“ kann er gut sagen.
Ich küsse ihn.

Und jetzt bin ich sechzig. Techno wummert hinter der Tür zum einstigen Café Sport. Der Hiasl ist seit Jahrzehnten tot, ebenso die Frau Sport und die meisten der damaligen Stammgäste. Ich selbst war zu der Zeit erst vierzehn, bei meinen ersten Schritten in die Wiener Szene der Künstler voller Erwartungen. Langsam spaziere ich weiter durch die Schönlaterngasse, weine und lache, weil es eh egal ist.



© ELsa Rieger
Gemälde: Kurt Regschek

14 comments:

Dagmar said...

Liebe Elsa,

das ist ja eine wunderbare Schilderung der Künstlerszenerie.Ich kann es mir gut voestellen und mich reinfühlen. Und lächeln. Nur schade, das es doch traurig endet. Aber schön geschrieben.

D Dagmar

Elsa Rieger said...

Liebe Dagmar,

ein kleiner Urlaubsunterbruch, weil ich die Geschichte auf der Zunge trug. ;-)

Danke fürs Gefallen.
Eigentlich endet sie nicht traurig. Sie ist, wie das Leben. Vergänglich.

Liebe Grüße
ELsa

Karl said...

schöne Milleustudie,
mit 14 schon im Kaffee tz tz tz:-)

Liebe Grüße,
Karl

Elsa Rieger said...

Lieber Karl, danke schön!

Nun, wenn man in der Stadt wohnt, fängt "das" früher an :-)

Liebe Grüße
ELsa

Karl said...

vielleicht bei Mädchen, ich lebte ja auch über 40 Jahre in Wien,
sind eben früher dran die Damen :-))
liebe Grüße,
Karl

Elsa Rieger said...

Das wirds sein, lieber Karl!

Rachel said...

Elsaaaa,
ja, diese Gedanken lagen dir auf der Zunge, spurteten direkt in deine Finger, flüssig, lebhaft, traumhaft beschreibst du einen Moment eines Tages, der ganz sicher viele solcher Momente an anderen Tagen Spiegelbild ist.
Das ist Flair, das ist Leben, das ist Spannung pur.
Ich sitze grad mit dir in diesem Kaffee, könnte auch grad weinen und lachen, doch vor allem weiterhin deinen Erinnerungen lauschen...

Ich umarme dich ganz fest
lieb, Rachel

Elsa Rieger said...

Liebe Rachel, was für ein inniger Kommentar, du Liebe!
Schön, dass du mit mir ins Café gekommen bist.

Mit den Jahren (und in denen bin ich ja ;-) ), tauchen diese Erinnerungen kräftig auf. Bestimmt werde ich weiterhin Merkwürdiges literarisch präsentieren.

Liebe Dankesgrüße und *drück dich*
ELsa

Rachel said...

Du Beste,

was du als Merkwürdiges präsentieren willst noch, und darauf bestehe ich sogar, lach - das ist Leben pur, nur, du bist in der glücklichen Lage, solchen Dingen Bedeutung beizumessen, du hast dir soooo viele Details verinnerlicht, dass es Freude ist, dir zu folgen, so, als wäre es grad gestern gewesen, ach, du verstehst, was und wie ich es meine, lächel...und du spürst ganz sicher auch meine Begeisterung hier beim Lesen und Mitdabeisein;-)

ich umärmle dich gaaaanz fest
lieb, Rachel

Elsa Rieger said...

Du bist zauberhaft, meine liebe Rachel!

:-*

ELsa

Unknown said...

liebe elsa,

das hast du schoen beschrieben. so war es. die geschichte mit dem billardtisch stimmt aber nicht. ich habe viele partien drauf gespielt. mit martin mitterbacher, dem reichen schrotthaendler. die steffi trank auch gern einen schnaps, wenn man ihr eine spendierte, die frau maria durfte es aber nicht sehen. die blutjunge eva deissen war auch gern da.

servus+bussi
giacomo R.
jetzt aachen
+++

Elsa Rieger said...

Servus, Giacomo, das ist aber nett!

Naja, einiges ist schon Fiktion, was ich geschrieben hab. Auch der Joe Berger kam ja nicht vor im Sport, und dass der Tisch bespielt wurde, ist richtig. Aber der Hermann hat trotzdem einmal drauf gespieben.

Schön, dass es dir gefällt.
Aachen? Sowas!

Bussi re
Elsa

Unknown said...

der hermann war alkoholkrank.
kannst du dich an ronald+edith fleischmann erinnern?
peter brustmann?
heidi kohout?

das sport war ja kein treff fuer versager.
wir waren die jungen wilden und es haben genug karriere gemacht.
rolf schwendter war auch stammgast.
die etablierten lokale - hawelka&co - waren uns zu spiessig.
es gab in der innenstadt auch nur ein lokal, das so muffig und heimelig war.
leider hat das ein depperter magistratsbeamter schliessen lassen.
damit war niemandem gedient - aber vielen der mittelpunkt genommen.

in den 60ern gab es drei lokale in europa, wo man sich traf.
das sport in wien, die palette in hamburg und das chez popoff in paris.
man konnte in hamburg eine nachricht fuer wien loswerden, eine/einer fuhr immer hin.

+++

aachen ist mein altersruhesitz.
ich habe auch 15 jahre in den niederlanden und in belgien gewohnt.

servus
giacomo
8-/))))

Elsa Rieger said...

Nein, es war kein Treff für Versager, aber in Geschichten musst du deinen Helden Saures geben, sonst braucht man keine schreiben :-)

Rolf treffe ich ja heut noch ab und zu. Die Fleischmanns hab ich gekannt, Brustmann auch, die Heidi sagt mit nix im Moment.

Liebe Grüße (immer noch aus Wien)
ELsa

Dieser Blog wird durch das Deutsche Literaturarchiv Marbach archiviert.

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