Aus der Asche
In der Stadt nannten sie alle immer noch „Paradiesvogel“. Jene, die neu zu den Cliquen gestoßen waren, fragten sich, wieso. Man sah Clara die Narben, die ihr das Leben geschlagen hatten, an. Wenn sie ihr Lachen anstimmte, heiser und verdorben, war zu hören, wie kampferprobt sie durch die Welt der Innenstadtkneipen schritt, manchmal auch taumelte. Ein Geheimnis umgab sie. Wenn einer der Bekannten nachfragte, was sie so alles erlebt hatte, verschloss sich ihr Gesicht. Weshalb sollte sie irgendjemandem erzählen, wie hart es gewesen war. Wie oft ihr Herz geschlachtet worden war. Wer wollte solche Geschichten schon hören! Irgendwann hatte sie beschlossen, die Liebe fernzuhalten. Seither ging es ihr viel besser. Das Herz blieb ganz, sie spielte den Vamp für sich und die Umwelt. Das war viel besser.
Signalrot schrillten Claras Lippen schon vom Eingang der Lokalität den Gästen entgegen, ihr raues Lachen folgte, dann zuerst das eine netzbestrumpfte Bein, danach das andere, mit dem sie die Tür hinter sich zustieß. Es krachte. Auf Highheels, die knochigen, pigmentgefleckten Hände in die Taille gestützt, schrie sie: „Ahoi, Folks!“ und begab sich zur Theke. Stieß sich dort einen Platz frei. Protestierte einer von denen, die Clara zum ersten Mal sahen, packte sie ihn mit den Krallen am Hals. „Fick dich, Kleiner.“ Die anderen grinsten. Wenn Clara schlecht drauf war, konnte es passieren, dass sie auch noch spuckte. Mitten ins Gesicht. Clara wirkte stets, als sei sie in Samt und Seide gekleidet und zöge nachlässig eine Federboa hinter sich her. Dass ihre Klamotten abgetragen und schleißig waren, merkte nur, wer genau hinsah. Was sich aber die Wenigsten trauten. Mit Clara legte man sich nicht an. Man lud sie auf Whiskey sour ein, nahm hin, dass es dafür keinen Dank gab. Hoffte aber insgeheim, der Drink, oder ein weiterer, würde sie soweit stimulieren, dass sie ein Lied zum Besten gab. An diesem Abend im „Café am Ende der Welt“ brachte einer der Stammgäste Clara zum Singen. So genau wusste keiner, wie alt sie war, aber da sie Cream und Eric Burdon drauf hatte, musste sie um die sechzig sein. Hatte sie zuviel getankt, ging sie als verknautschte siebzig durch. War Clara ausgeschlafen und gutgelaunt, sah sie wie ein junges Mädchen aus. So auch heute. Und singen konnte sie! A capella astrein. Jetzt eben Cocain von Eric Clapton. Im Applaus reckte sie das Kinn, streckte die kleine Statur auf den Stöckelschuhen und schleuderte die unsichtbare Federboa über die Schulter. Ihr heiseres Lachen erklang. „Gibt mir noch einer nen Glas aus, dann mach ich euch die Janis Joplin.“ Die Barmaid schob ihr den Whiskey über die Theke, an der Clara lehnte. „Ein Fremder. Sollst dir’s schmecken lassen“, sagte sie. „Na gut, Prost, Fremder“, rief Clara und blickte sich um. Von einem Tisch an der Wand kam ein Handzeichen. Clara sang. „Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes-Benz …” Die anschließende Klatscherei ignorierte sie diesmal und machte sie auf den Weg zum fremden Spender. Ließ sich auf den Stuhl neben ihn fallen. „Mann, du könntest ja mein Sohn sein.“ Bedauern im Blick. „Schwierig.“ Er sagte ihr sein Alter. „Tja, Herzblatt, acht Jahre sind nun mal acht Jahre. Aber du darfst mir noch einen Drink bezahlen“, lachte sie. Er legte die Hand auf ihren Schenkel, unter ihrem Kleid, weit oben, wo die Haut weich und zart ist. „Die Acht ist das Symbol für die Unendlichkeit“, sagte er, „außerdem mag ich Lolitas nicht. Ich bevorzuge langgediente Schlachtschiffe, bisschen rostig da und dort, wie das Leben einen nun mal macht. Ich möchte alles wissen über dich.“ „Hey, spinnst du jetzt?“ Empört. „Ich hau dir gleich eine. Schlachtschiff, pah!“ Dann lachten sie beide. Den Whiskey sour ließ Clara unberührt stehen. Er legte das Geld auf den Tisch und ließ ihr den Vortritt hinaus auf die Straße, wo er nach ihrer Hand griff und sie zärtlich festhielt.
(c) Elsa Rieger (eine Geschichte aus dem neuen Erzählband i. V. : Aus der Asche)
Bild: Gustav Klimt
4 Kommentare:
Meine liebe Elsie,
und wieder eine Geschichte, die jetzt schon fesselt...lass ja nicht nach in deiner Schaffenskraft!!!
ich drück dich lieb, bin wieder da aus dem Urlaub
deine Edith
Liebste Edith,
Du Liebe, danke herzlich! Und willkommen daheim, gut erholt und erfrischt, wie ich hoffe!
Liebe Grüße
Liebe Elsie,
eine Geschichte voller Charme. Schlimm, wenn ein Mensch sich hinter einer Maske verstecken muß.
Ein schwieriges Leben. Die Dame beeindruckt, so wie sie sich auf Grund ihres Lebens, dieses meistert.
Dein toller Schreibstiel versetzt mich in diese Atmosphäre.
Liebe Grüße
Dagmar
Liebe Dagmar, danke für dein Mitgehen und das große Lob!
Hallo, Wieczorama, danke für den Besuch! Ich komme gern auf deinen Blog und schau mirs an.
Liebe Grüße
ELsa
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