3. August 2010



Talk Talk Talk


Kürzlich habe ich eine Umfrage im Freundeskreis gemacht: „Siehst du Talk-Shows?“
Man prallte zurück. „Bist du irre? So einen Dreck? Willst du damit sagen, du traust mir so was zu? Hältst du mich für derart banal? Ich bin doch nicht kulturlos!“
Ein Einziger gab zu: „Ja, aber aus beruflichen Gründen!“
Er ist Persönlichkeitstrainer.

Aber keiner konnte mir brennende Fragen beantworten. Kriegen die Gäste Honorar für das Talken? Sind sie Laiendarsteller, die sich gebärden wie Underdogs? Ich vermute es stark. Mal ehrlich, welcher Mensch würde vor Kameras die Hosen seines echten Lebens runterlassen?

Ich behalte das im Auge und sobald ich einen freien Nachmittag habe, drehe ich um 13 Uhr die Kiste auf.

Unter frenetischem Applaus stampft eine Dame von viereckigem Format durch eine Seitentür auf die Bühne.
„Herzlich Willkommen, Wilma“, sagt die Moderatorin strahlend. Dann wird sie ernst, „du hast dich an mich gewendet, weil du vermutest, dass dich dein Mann (Blick auf eine der Karten, die sie in der Hand hält) Eduard betrügt?“
Wilmas weitläufiger Busen wogt, sie presst die Lippen aufeinander, nickt. Mir ist, als würde ich Tränen sehen. Sie ballt die Fäuste. „Und ich will den Lügentest.“
Die Moderatorin nickt, sagt: „Dann holen wir jetzt Eduard dazu, er soll schließlich eine Gelegenheit zur Verteidigung haben. – Herzlich Willkommen, Eduard!“
Nichts. Das Publikum raunt, ich zünde mir eine Zigarette an. Jetzt hat er es doch geschafft, die Tür zu öffnen und schleppt sich mit vorgebeugten Schultern an seinen Platz gegenüber von Wilma. Ich persönlich glaube ja nicht, dass der arme Eduard je irgendwen betrogen hat, so ausgeronnen, wie er wirkt.
„Nun, Eduard, was sagst du zu den Vorwürfen Wilmas?“ Die Talkdame mustert ihn kritisch und wiegt sich auf den Bleistiftabsätzen.
„Ich tu so etwas nicht“, antwortet er ganz leise.
„Willst du damit andeuten, dass deine Frau fantasiert?“
Die wuchtige Wilma keift: „Du hast mich mit der da (sie deutet auf eine leichkalibrige Person im Publikum) betrogen!“
Ach?, denke ich mir.
Die junge Dame lässt das offensichtlich nicht auf sich sitzen und tritt an eine Art Rednerpult mit Mikrofon. Brüllt: „Stimmt doch nicht! Wir sind bloß Freunde, der Edi muss sich ja wo ausheulen können, du Sadistin!“
Wilma spuckt in ihre Richtung.
„Nein, Wilma, das geht nun wirklich nicht, benehmen wir uns doch wie zivilisierte Menschen“, sagt die Moderatorin mit dem Namen Britt.
„Schlampe“, entgegnet Wilma, meint ganz klar nicht Britt, die rasch aus der Blickschusslinie zwischen den Frauen tritt, aber ein mitfühlendes Gesicht aufsetzt und das Feuer schürt: „Möchtest du deinen Mann wirklich den Fragen des Lügendetektors aussetzen?“ Sie reicht der Frau einen Karton Taschentücher, auf dem das Logo des Senders prangt. „Was wirst du tun, wenn sich herausstellt, dass er wirklich mit deiner besten Freundin gepoppt hat?“
Statt einer Antwort bricht die Gequälte mit einem Wutschrei aus ihrem Revier – einer dicken Gummiwalze, an der die Gäste sich mit dem Hintern anlehnen müssen – aus und prescht zur gegenüberliegenden Seite der Bühne, wo der Ehegespons sich gegen seine Rolle presst.
Britt jagt ihr nach, stellt sich mutig vor den blassen Mann, sagt autoritär: „Stopp!“
Das scheint der rasenden Wilma relativ wurscht zu sein, mit einer Armbewegung räumt sie die Moderatorin zur Seite. Mittlerweile ist der vermeintliche Betrüger hinter die Gummiwalze gehechtet. Seine Hände zittern, als er die Brille zurecht schiebt. „Moppelchen, ich liebe dich doch! Tu nichts, was du dann bereuen würdest“, fleht er.
Das Publikum johlt, ich bin fassungslos.
Britt ruft um Hilfe, der Ehemann ergreift die Flucht durch die Bühnentür und Wilma kreischt: „Wart nur, wenn du mir nach Hause kommst!“

Und ich denke darüber nach, dass die Leute bestimmt eine fette Gage bekommen, wenn sie sich schon so entblöden.

Morgen werde ich mir eine Show ansehen, in der zwei Familien in einen Wettstreit treten. Angeblich ist eine der rivalisierenden Ehefrauen bei der letzten Sendung ums Haar ertrunken, weil die Kinder und ihr Mann sie nicht aus dem Wassertank fischen wollten, um die hohe Gewinnprämie zu kassieren.


© Elsa Rieger
Bild: Mike Worrall

6 Kommentare:

syntaxia hat gesagt…

Ähm, du machst Scherze ELsa, oder?
Das tut sich doch kein Mensch freiwillig an, weder vor noch hinter irgendeiner Kamera!
Menno bin ich froh, dass ich keinen fernseher habe.. ;-)

..grüßt dich Monika herzlich

Elsa Rieger hat gesagt…

:-)

Nein, absoluter Ernst.
Ich meine, diese Situation habe ich natürlich nicht abgekupfert, sie ist erfunden, aber so ähnlich läuft das ab, liebe Monika.

Liebe Grüße dir,
ELsa

Anonym hat gesagt…

Ohh, elsa! was für eine schöne Geschichte *laut lach*

welcher Mensch würde vor Kameras die Hosen seines echten Lebens runterlassen?. Der Satz gefällt mir besonders gut.

Am besten setzt man seine Kinder oder in unserem Falle die Enkel mit vor den Fernseher, damit sie später wissen, wie man in die Kamera lächelt und sich auch sonst konform benimmt.

Du weißt ja, früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will ;-)

Liebe Grüße
Barbara

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Barbara, freut mich, danke dir!

In der Tat: früh krümmt sich ...

Liebe Grüße
ELsa

Anna-Lena hat gesagt…

Wenn ich in der Küche werkele, habe ich so etwas auch oft laufen, um zu verstehen, warum meine Schüler sich jeden Mist angucken. der tiefere Sinn hat sich mir aber bisher nicht erschlossen.

Ich bin schon überzeugt, dass es fiktive Situationen mit Laienschauspielern sind, die dafür Geld kassieren.

Deine Darstellung ist dir wahrhaft gelungen, liebe Elsa. man sollte schließlich im Bilde bleiben :-).

Herzlich
Anna-Lena

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Anna-Lena,

danke für deine Überlegungen dazu, wahrscheinlich ist es so, anders kann ich es mir einfach nicht vorstellen. :-)

Liebe Grüße
ELsa

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