16. Dezember 2017

Von Friedhofsbesuchen, trockenem Schweinebraten und Zähnen auf der Serviette: Weihnachten bei Elsa Rieger

Qindie bat mich zum Weihnachtsinterview




Hier noch mal in voller Länge:

Heute reisen wir nach Wien, doch als ich das Interview mit unserer heutigen Gastgeberin gelesen habe, fühlte ich mich ein bisschen nach Skandinavien versetzt, in die Anfangsszenen des Films „Fanny und Alexander“, das lebensfrohe Weihnachtsfest.

1. Wo bist du aufgewachsen und wie habt ihr dort Weihnachten gefeiert?
In Wien. Dort ging es so zu im Advent und am Heiligen Abend:
„Maria durch den Dornwald ging, Kyrieleison“, spielten wir auf Blockflöten an den Adventsonntagen daheim.
Die Vorweihnachtsgeheimnisse, ich werde sie niemals vergessen. Die Eltern lächelten unschuldig und halfen, Briefe ans Christkind zu verfassen, als ich und meine Geschwister noch zu klein dazu waren.
Später schrieben wir sie selbst, auch nachdem uns längst bekannt war, wer Weihnachten ausrichtete.
Die verzierten Kuverts deponierten wir aufgeregt zwischen den Fensterflügeln, ehe wir zu Bett gingen. Und am nächsten Morgen lag Sternenstaub statt der Briefe dort.
Am Tag des Heiligen Abend brach daheim unvermittelt Hektik aus. Nach einem schnellen Frühstück warf Oma jeden aus ihrem Reich, der Küche, hinaus. Wir Kinder wurden in unsere Paletots geschüttelt und mit Papa vor die Tür gesetzt.
Nun war Weihnacht!
Nach einem langweiligen Friedhofsbesuch folgte ein Spaziergang auf den Christkindlmarkt. Hier gab es Glanz und Glitzer, nur hier. Und viele Väter mit Kindern, die wie wir die Wohnungen verlassen hatten. Wir schleckten rosarote Zuckerwatte und kandierte Äpfel; die Papas futterten Bratwürstel und prosteten einander mit Glühwein zu. In der Luft lag ein Duft von Zucker, Senf, gebrannten Mandeln und Alkohol. Wir fuhren mit einem kleinen Ringelspiel im Kreis.
Halberfroren kehrten wir am Nachmittag heim.
Bis auf die Bahnhofsrestaurationen, in denen sich die Einsamen und Gestrandeten trafen, war die Stadt gegen siebzehn Uhr leergefegt. Hinter den Fenstern wurde es Licht und das Warten begann.
Im Weihnachtszimmer, das seit dem Morgen zugesperrt war, knarrte der Parkettboden verdächtig.
„Psst“, sagte Papa und legte den Zeigefinger an die Lippen, „das Christkind.“
Wir kicherten und mein Herz klopfte schneller.
Oma hatte ihre Kocherei beendet und ein elegantes Kleid angezogen. Onkeln und Tanten trafen nach und nach ein.
Als alle versammelt waren, verschwand Mama. Wieder knarrte es im Nebenzimmer, bald darauf ertönte endlich das ersehnte leise Glockenklingen.
Plötzlich war Mama wieder da und sagte erstaunt:
„Mir war, als hätte es eben geläutet? Ich glaube, das Christkind war da!“
Langsam, ganz langsam öffnete Papa die Türflügel und wir stürzten hinein.
„Ah“, sagten alle und „Oh!“
Im Halbkreis aufgereiht sangen wir falsch und auch richtig „Stille Nacht“, danach „Oh, du Fröhliche“ und zuletzt „Oh Tannenbaum“, während die Kerzenlichter im Hauch unserer Lieder tanzten.
Unter dem Baum stand mein großer Wunsch: Das Schaukelpferd.


2. Gab es Rituale für den Heiligabend und den ersten und zweiten Weihnachtstag?
Ja, natürlich. Oben sagte ich schon, die ganze Verwandtschaft feierte bei uns, da wir eine große Altbauwohnung in der Innenstadt bewohnten. Die Rituale wie oben beschrieben mussten eingehalten
werden.

Doch ehe meine Eltern sich entschlossen, den Heiligen Abend nur noch in unseren Räumen zu feiern, lief es anders ab. Ich war vielleicht 5 Jahre alt, da wurde zuerst im kleinen Rahmen bei uns daheim gefeiert und danach zu Tante und Cousins meines Vaters gefahren, auch in Wien, aber in einem anderen Bezirk. Mein Bruder und ich waren nicht wahnsinnig erbaut darüber, wollten wir doch mit unseren Geschenken spielen. Nun gut, wir konnten es nicht ändern.
Dort, bei unseren Verwandten, bezogen sich die rituellen Handlungen auf das Essen. Es gab einen Weihnachtsbaum, klar, auch kleine Geschenke für die Kinder, doch dann ging es zur Tafel. Meine Großtante Ada, Hausherrin, und ihr Sohn und ein und alles, mein Onkel Hugo, servierten traditionell Rotkraut, Semmelknödel und Schweinsbraten.
Das ging so: Tante Ada raste mit dem Bräter um den Tisch herum und knallte jedem eine Scheibe des Bratens, der seit gut 5 Stunden im Ofen vor sich hin getrocknet hatte und nun von lederner Konsistenz war, auf den Teller, Onkel Hugo schupfte den Knödel und das Rotkraut – auch verkocht und von grauer Farbe – hinten nach. Dann nahmen die beiden ebenfalls Platz. Nun saßen wir, Ada, Hugo, meine Eltern, Adas Schwester Ida, einst Soubrette in Prag, mein Onkel Hans, auch Bruder der Genannten, evangelischer Pfarrer (der liebste Onkel von allen) vor diesen Tellern.
Onkel Hugo, Papas Cousin, nahm in aller Ruhe seine Zähne raus und legte sie auf die Serviette. Jedes Mal. Mein Vater sagte: „Hugo! Du Trottel, das macht man nicht!“ Jedes Mal.
Hugo darauf: „So schmeckt’s aber besser.“ Jedes Mal. Unbeirrbar.
Daher wurde dann bald nur mehr in unserer Wohnung gefeiert mit kalten Platten.


3. Was habt ihr gegessen? Hast du ein Rezept für uns?
Wir aßen an Heilig Abend, wie gesagt, kaltes Buffet. Hühnerschenkel, Kartoffelmayonnaise-Salat, Beinschinken und edle Käse. Meine Oma buk Pastetchen und als Dessert gab es Petit Four aus der Konditorei. Das war dann alles gefahrlos zu verzehren von Onkel Hugo.
Ein Rezept habe ich auch: Toastscheiben auf beiden Seiten buttern, in den Ofen schieben, toasten und ehe sie verbrennen, eine Masse aus geriebenem Parmesan mit Frischkäse, gewürzt mit Paprikapulver, dick draufstreichen, fertigbacken. Schmeckt warm und kalt herrlich.


4. Welche Rolle spielten Geschichten oder die Weihnachtsgeschichte?
Da mein Großonkel Pfarrer war, gab es stets die Weihnachtsgeschichte als Auftakt nach den Weihnachtsliedern zu hören. Verlesen wurde sie von meinem Vater.

5. Welche Rituale hast du in dein Erwachsenenleben übernommen?
Eigentlich alle. Außer den Schweinsbraten von Tante Ada.
Ich lese nur etwas anderes vor:

Und es begab sich …
… und es begibt sich immer wieder, dass Menschen zueinander finden.
Von Abschieden versehrte Krieger des Lebens sind sie. Ein kleiner Haufen, der sich den Weg durch die Dunkelheit bahnt, um einen Augenblick des Lichts zu verspüren.
Näher zusammenrücken. Sich anschauen, wissen, und trotz allem lächeln. Denn das Lächeln lindert den Narbenschmerz. Den eigenen. Den der anderen.
Und so begibt es sich immer wieder, dass Menschen einander im Leuchten des Weihnachtsbaumes umarmen, das Fest der Liebe gemeinsam feiern.


6. Welche Bücher verschenkst du zu Weihnachten?
Diesmal trifft es sich gut mit Neuerscheinungen von Autoren, die meine Familie schätzt: Juli Zeh, Joachim Meyerhoff und die Biografie von Grischka Voss über sich und das Leben mit ihrem Vater, dem großartigen Künstler, der leider 2014 verstorben ist.

Frohe Festtage allen,
Elsa

3 Kommentare:

Edith hat gesagt…

Liebe Elsie,
eine wundervolle Rückbesinnung. Wir haben gar nicht so wenig an Gemeinsamkeiten, vor allem dieses Familiengefühl, lächel. Ich hab dies wohl vererbt bekommen, denn bei mir spielt sich alles ab, die ganzen Feiertage. Ich bin kochen und backen für viele Menschen gewöhnt und ich mache es gern. Zu uns kommt jedoch immer noch der Weihnachtsmann. Jeder hat sich darauf vorbereitet, singt oder sagt etwas auf, dann wirds so richtig heimelig....

Danke für deinen Einblick
ich drück dich lieb,
Edith

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe, liebe Edith, danke dir!Die Feiertage mit den wichtigen Menschen, der Familie sind so schön, ich möchte sie nicht missen.

Drück dich, Elsa

Anonym hat gesagt…

I constantly spent my half an hour to read this website's posts all the time along with a mug
of coffee.

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