29. Juli 2012

Elsa hat ein neues Taschenbuch veröffentlicht:




Der letzte Rabe
21 Kurzgeschichten mit Fotos.


Erweiterte Ausgabe des eBooks gleichen Titels.
Genre: Krimi-Mystery


Leseprobe:

Inselzauber oder ein Schiff mit acht Segeln

John Bonville stakste in den überkniehohen Stulpenstiefeln auf dem Filmgelände herum.
Die „Eingeborenen“ gafften hinter dem Absperrband. Vor allem die Frauen und Kinder waren nicht zu bewegen, ihren gewohnten Tätigkeiten nachzugehen, seit das Team vor zwei Wochen mit drei Hubschraubern auf der Isla Margarita gelandet war.
John winkte hinüber und rief: „Na, ihr Wilden, heute schon Voodoo gemacht?“
Sie nickten und lachten. Unter ihnen bemerkte er nicht zum ersten Mal die zahnlose Alte mit dem verwitterten Steingesicht.
Fast stolperte er über einen Stein, der aus dem Sand herausragte, als er sich beeilte, sein Zelt aufzusuchen.
Die Unterkünfte für Schauspieler und Stab waren kärglich; einfache Stoffbahnen, zusammengehalten mit Metallrohren. Eingerichtet mit Iso-Matten, Campingtisch und Klappstuhl. Catering war auf diesem abgelegenen, pittoresken Strand zu vergessen; gespeist wurde aus Dosen, die Notdurft in Mobiltoiletten verrichtet, von denen es allerdings nur zwei für vierzig Ärsche gab. Je länger John darüber nachdachte, desto grimmiger wurde er. Gut, er hatte endlich eine Hauptrolle ergattert, den Boss der Piraten, der grausam wie die Hölle war. Leider gab es für ihn wenig Text zu sprechen. Trotzdem musste er diese Unannehmlichkeiten zwangsläufig hinnehmen. Er kokettierte damit, dass er Johnny Depp und Fluch der Karibik übertreffen würde.
John trat vor sein Zelt und blickte über das Meer. Etwa fünfhundert Meter vor der Küste ankerten die Attrappen. Ein Piratenschiff und der Dreimaster, der gekapert werden sollte. Die Kähne waren auf den ersten Blick nicht von den Originalen zu unterscheiden, aber ihr Innenleben war recht provisorisch und eine Fahrt auf offenem Wasser würden sie nicht überstehen.
Bisher hatte es ein paar Drehs an Land zwischen den Palmen und auf den Riffs gegeben. Großaufnahmen von John, wie er die gekidnappte Tochter eines reichen holländischen Handelsherrn gewaltsam an sich riss und küsste. Er konnte die Schauspielerin nicht ausstehen. Dauernd motzte sie herum, wenn er sie packen musste.
„Nicht so grob, Bonville. Passen Sie gefälligst auf mein Kostüm auf. Haben Sie Knoblauch gegessen? Nehmen Sie etwas Rücksicht und lesen Sie den Drehplan, ehe Sie das tun. Ist ja unmöglich!“ So tönte Mariella in einem fort. Am liebsten hätte er das dumme Weib ertränkt.
John schüttelte es. Er lugte um die Ecke, ob die Alte noch immer unter den Neugierigen stand, sie ähnelte auf fatale Weise seiner Schwiegermutter, dann übte er erneut das Gehen in dem ungewohnten Schuhwerk. Heute Abend brauchte das Team einen blutroten Sonnenuntergang, bei dem die ersten Szenen draußen auf dem Rah-Schoner gedreht werden würden.
Durch die Bewegung kam sein Darm in Fahrt und John eilte auf die Klippe zu, hinter der die Toiletten absentiert waren. Das Dosenfutter seit zwei Wochen hatte seine Verdauung schwer beeinträchtigt, er nahm jede Gelegenheit wahr, wenn es im Bauch zwickte. Andächtig lauschte er in sich hinein und freute sich an der Entladung. Durch die dünnen Kunststoffwände hörte er das Kreischen der Möwen und die Brandung ans Ufer schlagen.
Befreit und erleichtert verließ er die WC-Box. Und erschrak.
Vor ihm stand ein Eingeborenenmädchen, schön, wie er es nur in seinen kühnsten Träumen erlebt hatte. Sie blickte ihn ernst an, die Arme vor den Brüsten gekreuzt. Der orangefarbene Pareo war locker um die Hüften geschlungen.
John fuhr sich durchs Haar. Er war nicht mehr jung, wahrscheinlich doppelt so alt wie sie. Er sollte längst zu Injektionen mit Botox greifen, wie viele andere das taten. Er zog den Bauch ein.
„Du wollen was?“, sagte er und setzte sein charmantestes Lächeln auf.
„Nimm mich mit nach England.“
John war entzückt, eine Geliebte? Warum eigentlich nicht? Er würde ihr eine Wohnung mieten, ein Nest der Lust. Berühmte Kollegen machten das genauso oder sie ließen sich scheiden. Mit ihr an seiner Seite würde sich ein brillanteres, wilderes Image aufbauen lassen.

Er verlagerte das Gewicht auf ein Bein, kickte ein Steinchen über den Rand der Klippe, zwinkerte dem karamellhäutigen Mädchen zu und warf die Haarpracht mit Schwung in den Nacken. Für die Rolle hatte er sie monatelang wachsen und zudem Verdichtungen anschweißen lassen, jedoch wusste keiner davon.
„Du lieben mich?“
„Vielleicht.“
Sie blieb ernst. Wich zurück, als John sie am Arm nehmen wollte, um sie von den beiden Scheißhäuschen wegzulotsen.
„Was“, sagte er verwirrt, „lieben ohne Anfassen?“ (...)


7 Kommentare:

Anna-Lena hat gesagt…

Liebe Elsa, ich bewundere und beglückwünsche dich. Du bist so kreativ!

Einen lieben Sonntagsgruß
Anna-Lena

Elsa Rieger hat gesagt…

Vielen dank, liebe Anna-Lena, ja ich bin kreativ, da bin ich eisern :-) Nachteil: Ich bin weniger in der Blogwelt zugegen. Liebe Grüße, Elsa

Edith hat gesagt…

Liebe, gute Elsie,

ich bin so stolz, dich zu kennen, deine Freundin zu sein. Eben eine Power-Frau, die weiß, was sie drauf hat und dass sie es kann!!!!

Ich umarme dich und gratuliere dir ganz irre lieb

deine Rachel

Elsa Rieger hat gesagt…

Meine liebe Rachel, ich bedanke mich schön, du bist so lieb zu mir!

Busserln aus Wien,
ELsie

Ulrike Jansen ♥ hat gesagt…

Meine liebe Elsa!
Du erstaunst mich immer wieder aufs Neue mit deinem knackigen, schonungslosen, berührenden, genialen Schreibstil, den ich sehr liebe! Großartiger Text!
Danke, dass du mein Leben bereicherst. Ich schaue zu dir auf! *verneigmichtief*
Dickes Bussi und eine Umarmung nach Wien
Deine Ulrike ♥

Elsa Rieger hat gesagt…

Wie lieb von dir, Ulrike, ich werde ja rot bei so viel Lob, danke!

Herzensgruß,
ELsa

Elsa Rieger hat gesagt…

Lieber James,

dein Komm. gefällt mir sehr, vielen Dank!

Herzlich, ELsa

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