Hommage an meine Freundin Elfriede Gerstl
Ich lernte Elfriede Gerstl in den späten Achtzigern kennen. Es war eine überaus inspirierende erste Begegnung in einem Wiener Kaffeehaus mit der großen Literatin, die mir klein und zart gewachsen gegenüber saß. Das ausdrucksstarke Gesicht halb im Schatten ihres breitkrempigen Hutes. Elfriede, die Hutträgerin – ich glaube, ich habe sie kaum ohne dieses Accessoire gesehen.
Unsere Begegnung, aus der eine lockere Freundschaft entstand, war inspirierend, da Elfriede mich ermutigte zu schreiben. Und ich hatte die große Ehre, damals als Einzige in Wien ihre Texte bei meinen Performances vortragen zu dürfen.
Spät im Leben erst wurde Elfriede Gerstls literarisches Schaffen gewürdigt. Und ich freue mich, dass sie es im Gegensatz zu anderen großen Schriftstellern noch erleben und genießen darf.
zeit-los
mit roten locken
behütet blicken
augen groß in die
zeit war dir noch
nie verloren – stolz
gehst du deinen weg
von moden unberührt
By ELsa
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Hörversion von ELsa: mit allem
Elfriede Gerstl:
mit allem
ist alles mit allem
alles mit allem ist
mit alles mit allem in Beziehung
ist
mit allem in diesem Haus
ist mit
aller Anfang beginnt
die Straße zum Beispiel
vor diesem Haus zum Beispiel ist
sagen wir es ruhig
belebt
belebte junge Männer
stehen mit ihren Hüften und Seelen
im Tagesanbruch da
nachdem sie
sagen wir es ruhig
im Kleist-Casino
rechts vom Tor, wenn man ihm gegenübersteht
oder der Kleist-Quelle
links vom Tor, wenn man ihm gegenübersteht
gewesen sind
mit ihresgleichen
wie man sagt
wenn man die Skala der Varianten vernachlässigt
wie man sagt
Juden, Kommunisten, Gastarbeiter, Zahnärzte
rechts oder links vom Tor, wenn man ihm gegenübersteht
wenn man die Skala der Varianten vernachlässigt,
jedes Haus hat zum Eindringen sein Tor
das Tor dieses Hauses steht offen
in der Dunkelheit riecht es nach
Hunden, Urin und altem Bier
die braunen Glasscherben in den Pfützen
sind scharfe Sachen
auf die schöne junge Männer,
wie Holger und Joe
Gammler
wie man sagt
rechts oder links vom Tor
wenn man davorsteht
achten müssen
zum Beispiel beim Stehen, Steigen, Liegen
auf den Treppen
bevor sie sich mit ihren Mänteln und Unterarmen
zum Schlafen einrichten
geh nicht hin sagt Frau Bartsch wo sie bei Tag und Nacht
stehen und sitzen
alles kleine und schwarze Männer
die Messer in der Tasche tragen
die einerseits nach Öl andererseits nach Zwiebel riechen
die mit Koks handeln
die nach Frauen trachten
die den Tripper einführen
alles kleine und schwarze Männer
die nach Messer riechen
die einerseits mit Öl andererseits mit Zwiebeln handeln
die nach Koks trachten
die Frauen einführen
die den Tripper tragen
alles kleine und schwarze Männer
die mit Messer handeln
die einerseits nach Öl andererseits nach Zwiebeln trachten
die Koks einführen
die Frauen in der Tasche tragen
die nach Tripper riechen
alles kleine und schwarze Männer
die nach Messer trachten
die einerseits Öl andererseits Zwiebeln einführen
die Koks in der Tasche tragen
die nach Frauen riechen
die mit Tripper handeln
alles kleine und schwarze Männer
die Messer einführen
die einerseits Öl andererseits Zwiebeln in der Tasche tragen
die nach Koks riechen
die mit Frauen handeln
die nach Tripper trachten
geh nur, sagte Frau Bartsch, nicht hin
wo sie bei Tag stehen und bei Nacht sitzen was sagte Grit
wird sagte Grit
mir sagte Grit
schon sagte Grit
geschehen sagte Grit
oder auch nur ohne großes Nachdenken wie es der Brauch ist
was wird mir schon geschehen Tante Barbara
Blut sagte Frau Bartsch
Grit hat die Wahl
ein Blümchen (Trampel) im verborgenen zu sein
eilige verheiratete Männer auszuleihen
die kleinen schwarzen Männer mit den schmalen
Betten und Börsen und dem armen Vokabular
Grit hat die Wahl
an den jeweils heimlich Geliebten zu denken
der nichts merkt
der (sich) nichts (an)merken lässt, weil weil (was soll das)
den sie zu verlieren (gewinnen) fürchtet
oder (doch)
die sachliche Gymnastik in den rasch gemieteten Zimmern mit
den frischen Handtüchern
oder die fiebrigen schwarzen Männer mit den Holzkohlen-
blicken, der Eifersucht und dem armen Vokabular
oder ein Blümchen (Trampel) zu sein
Grit hat die Wahl
Elfriede Gerstl
wurde 1932 in Wien geboren und überlebte als Jüdin die NS-Zeit in mehreren Verstecken. Sie studierte Medizin und Psychologie, brach das Studium ab, heiratete Gerald Bisinger; Geburt einer Tochter.
Als einzige Frau im Umkreis der Autoren der ›Wiener Gruppe‹ und der frühen Aktionisten, die aus Wien vertrieben wurden, lebte sie in den bewegten 60er Jahren in Berlin, seit 1968 wieder in Wien, wo sie konsequent außerhalb des Literaturbetriebs steht.
Veröffentlichungen seit der Mitte der 50er Jahre; für ihr Werk erhielt sie zuletzt den Erich Fried Preis und den Georg Trakl Preis, 2004 den Ben Witter Preis. Zuletzt erschienen: Alle Tage Gedichte (1999), Die fliegende Frieda (Jugendbuch, 1998), Kleiderflug (1995), Unter einem Hut (1993).
1965 und 1978 Förderungsbeitrag des Wiener Kunstfonds der Zentralsparkasse Wien für Literatur
1973 Staatsstipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur
1978 Förderungspreis für Literatur des Theodor-Körner-Stiftungsfonds zur Förderung von Wissenschaft und Kunst
1982 Preis der Literatur-Initiative der Girozentrale Wien
1982 und 1983 Buchprämie des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst
1984 Würdigungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur
1990 Würdigungspreis der Stadt Wien für Literatur
1999 Georg-Trakl-Preis für Lyrik
1999 Erich Fried Preis
2003 Goldene Ehrenmedaille der Stadt Wien
2004 Ben-Witter-Preis
11. Februar 2007
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