25. Juli 2011


Ach nein, bloß keine Blümchen mehr!

In den Abendnachrichten die Bilder verdorrender Menschen und Landschaften am Horn von Afrika, die fanatische Rede eines wahnsinnigen Diktators mit Namen Gaddafi, Strahlengift über Japan. Obamas Kampf gegen die Windmühlen der Republikaner zum Abschluss. Werden wir alles in Schutt und Asche gelegt haben, ehe sich unser Gehirn endlich weiterentwickelt hat? Eines Tages wird die Welt wieder ohne uns auskommen.

Das dachte ich schon 1969. Vietnam. 22. Januar. Ich war vierzehn. Jimi Hendrix vor den Toren Wiens! Es war sein vorletzter Auftritt. Das Konzerthaus war auf die wilde Rockperformance nicht vorbereitet. Aber es hatte Frank Zappa und die Mothers of Invention überstanden, auch Janis Joplin und Joe Cocker waren hier aufgetreten. Nun Jimi Hendrix Experience. Meine modernen Eltern hatten mich mitgenommen. Beinahe hätten wir das Gehör verloren, wir waren danach tagelang taub. Von einer johlenden Menge war nicht die Rede. Das Publikum saß auf bebenden Biedermeierstühlen, während Jimi Hendrix mit Fuzz Boxes, Wah-Wah-Pedalen und Marshall-Verstärkern uns mehrere tausend Watt in die Ohren knallte.
Vor Jimi ging ich zum Eislaufen, kicherte mit meinen Freundinnen und genoss die Schulferien. Die Wände in meinem Zimmer waren mit Postern von Rex Gildo, Charlton Heston und Pierre Brice zugehängt.
Nach Jimi war ich nicht mehr dieselbe. Ich ging auf die Straße, dem Protest galt ab sofort mein ganzes Interesse. Bis auf die Zeit, die ich in der Schule absitzen musste, beteiligte ich mich an jeder Demonstration. Ich unterschrieb auf allen Listen, die mir unterkamen: Greenpeace, Amnesty International und alles gegen jeden Krieg. Die Sache mit dem Tragen von Margeritenkränzen auf den Locken kam in Wien nicht recht an. Weder tanzten wir infiziert vom Flowerpower durch die Straßen noch warfen wir mit Herzerlblick der Menschheit Kusshände zu. Dennoch forderten wir Freiheit für alle. Vor allem jedoch für uns und den legalen Genuss von Haschisch. Wenn auch das Blumenstreuen bei uns nicht recht zog, Pot rauchen wollten wir schon, das hatte sich durchgesetzt.
Ich umrandete meine Augen mit Kajal, zog bunte bodenlange Kleider an und trug Mamas Spitzenhöschen darunter.
„Love, Peace and Rock’n’Roll“ brüllend schien ich der freien Liebe zu frönen. In Wahrheit traute ich mich nicht. Meine Eltern waren überzeugt, ich würde es tun. Darauf war ich sehr stolz. Papa tobte. Meine Mutter weinte und besorgte mir schleunigst die Antibabypille.
Eines Tages tat ich es doch. Ich war so bekifft, dass ich meine Defloration nicht mitbekam. Nachdem sich die Nebelschwaden aus meinem Gehirn entfernt hatte, erzählte mir Julian, so hieß der Junge, davon und ich war überglücklich, das erledigt zu haben.

Nach Flowerpower fuhr ich total auf Punk ab. Zwei Gründe waren damals ausschlaggebend. Ich ertrug diese waschlappenweichen Antihelden nicht. Sex mit jenen Typen war todlangweilig, am liebsten diskutierten sie darüber. Dabei hieß es doch Make-love-not-war. Vollgedröhnt trugen sie ein dümmliches Lächeln im Gesicht, ich hätte schreien können. Überbordend vor Fantasien vom Weltfrieden, taten sie rein gar nichts dafür. Wie Taugenichtse lebten sie in den Tag hinein, schnupperten an Räucherstäbchen und tanzten sich zu In A Gadda Da Vida in Trance, statt die Welt zu verbessern. Sie waren pappig wie Marshmallows.
Da hockte ich lieber mit den Lederjackentypen im Volksgarten vor dem Palmenhaus, rauchte und verfluchte mit ihnen die Bourgeoisie, unsere Eltern, das Geld. Kamen Bürger an uns vorbei, schnorrten wir. Gaben sie nichts, verdammten wir sie, gaben sie ein paar Groschen, verdammten wir sie auch.
Der andere Grund, die Fronten zu wechseln, war, ich wollte unbedingt auch ein wildes Tattoo. Da minderjährig, benötigte ich die Einwilligung meiner Eltern. Damals gab es ein einziges Studio in der Stadt.
„Du willst waaaas?“, kreischte meine Mutter. Papa zog die Augenbrauen hoch.
Ich sah auch ohne schon beeindruckend aus in den Netzstrümpfen mit zusätzlichen Löchern. Meine DocMartens hatten ein ganzes Monatsgehalt geschluckt, der schwarze Minirock spannte am Hintern. „Piss off“ stand auf meinem Shirt.
„Ich will ein schwarzes Herz, aus dem rotes Blut tropft.“
„Warum?“, fragte Papa.
„Weil es Mode ist“, sagte meine Mutter, die inzwischen ihre Toleranz wiedergefunden hatte. Ich bekam die Unterschrift.
Der Tattooshop war derart schmuddelig, dass es sogar mir auffiel. Der Mann, der gerade einem Kunden in die Brust stach, war selbst über und über tätowiert, er blickte auf, als ich hereinkam. Zahnlos grinste er mich an und kratzte mit schwarz geränderten Nägeln seinen wabbeligen Bauch.
„Willst du deine Pussy tätowieren lassen?“
„Nö, ich suche nur jemanden, der ist aber nicht hier. Tschüss.“

Sex Pistols, Clash und Iggy Pop. Punk-Rock ist der wahre Rock’n’roll. Als Punk kiffte man selten. Man soff. Bier. Man war hart wie Stahl. Es gab keine Romantik, wir saßen nicht im Park unter dem Sternenhimmel und flüsterten von der Liebe. Ich lungerte in kalten, nach Rauch und Bier stinkenden, verdreckten Probekellern herum und die Bands brüllten Attacken gegen das Establishment ins Mikrofon. Dazu wurde in die Elektrogitarren gehauen wie die Hölle.
„I got no feelings and no feelings for anybody else” war die Devise, ausgerufen von den Sex Pistols. Wir hielten uns strikt daran. Jeder, der Lust hatte, ging mit jedem, der wollte, ins Bett. Wir zogen in unseren schwarzen Klamotten durch Wien und hassten alles, was normal war.
Mit der Zeit verkrümelte sich einer nach dem anderen, ständig böse zu sein, war zu anstrengend, schließlich wollten wir auch nur lieben und geliebt werden.

Das wollen wir auch heute noch. Aber damals war es vielleicht einfacher. Ich schiebe den Teller weg, mir ist der Appetit vergangen. Im Werbeblock lachen schöne Menschen an sommerfrischen Frühstückstischen im saftigen Grün. Die blütenweiße Wäsche flattert froh im lieblichen Wind. Ich könnte kotzen.

(c) ELsa Rieger

15 Kommentare:

Traumkirschen hat gesagt…

wow. der text hat es in sich..
du schreibst wirklich toll (♥)
hm.. ich weiß nicht, ob das was ich tue sage und v.a. meine flower power ist.. aber laut dem unsinnigen schubladendenken um mich ist es das angeblich. nun, wer weiß, ob sich das nochmal ändern wird.. ich glaube ja irgendwie nichtmehr.. naja, man wird sehen ;)
ein toller text, kann mich nur wiederholen. danke :)

HANS-PETER ZÜRCHER hat gesagt…

Liebe Elsa,

ein eindrückliches Essay!

Revolution in Sache Liebe, Revolution in Sache Musik, Revolution in Sache Gewalt.

Du schreibst es richtig: Eines Tages wird die Welt wieder ohne uns auskommen.

Denn das, was auf diese Welt niederprasselt ist mehr als sie ertragen kann. Und immer mehr und immer weiter und immer grösser und immer höher, mit aller Gewalt des Größenwahnsinn. Killerspiele sind ebenso legal wie Gewalt, wie Kriege, wie Unterdrückung, wie Vergewaltigung, denn all das wird meist noch gestützt, auch wenn wohlweislich da und dort gemahnt wird, nur so zum Schein gewarnt wird...

Die Natur braucht uns Menschen nicht zum Leben, wir Menschen aber die Natur. Dies scheint aber kaum zu interessieren, denn das gibt kein Geld...

Ich danke dir für Deine ausführlichen Zeilen

Liebe Grüsse

Hans-Peter

herbst.zeitlosen hat gesagt…

ach herrjeh, ja, Elsa.
Was ziehen wir heute an?
Mir fällt eigentlich nichts Tröstliches ein, weder zum Anziehn, noch zum Essen, noch zum Saufen.
Es is so, das Leben ... Es ist einfach so.

grenzen-los-zeit-los hat gesagt…

ach liebe Elsa, der letzte Satz trifft genau meine Stimmung ... und auch die Aussage "wir wollten nur geliebt werden und das auch heute noch, JA !!!!! Stimmt .. kann ja wohl auch keiner etwas dagegen haben, oder ?
wünsche dir für heute abend eine wunderbare stimmung (nachdem du dann gek... t hast) lieben gruß dir von ursa

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Freunde, ich danke euch herzlich für die zustimmenden Gedanken und Kommentare, freu mich sehr, dass wir alle ab und zu ein bisschen kotzen müssen angesichts der Missstände und Katastrophen, die Liste ist viel länger als die in meinem Text, wie wir wissen.

Ganz liebe Dankesgrüße
Elsa

Anna-Lena hat gesagt…

In vielem finde ich mich in deinem wahnsinnig guten Text wieder, liebe Elsa, auch im letzten Satz.

Ich habe immer mehr das Gefühl, ein Teil der Welt verblödet immer mehr, besonders die, die sich auch noch Intellektuelle und Politiker schimpfen und der andere Teil geht zugrunde, ohne, dass er ernst genommen, bestenfalls bemitleidet und angestarrt wird.

Wir sind Gast auf dieser Erde und Gäste gehen irgendwann oder werden vor die Tür gesetzt. Wir können für uns dankbar sein, in einer halbwegs intakten Zeit geboren worden zu sein, selbst, wenn das ein wenig egoistisch klingt.

Mit nachdenklichen Grüßen
Anna-Lena

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Anna-Lena, so ein wahres Feddback aus deiner Feder, danke! Ich kann nur bei allem nicken, was du hier schreibst!

Herzliche Grüße
ELsa

kräuterhexe09 hat gesagt…

liebe ELsa!

klasse geschrieben.
du bringst es auf den punkt.
es bleibt einem der bissen im hals stecken, wenn man sich die nachrichten anhört.

liebe grüße
gabriele

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Gabriele,

wie freu ich mich, dass du hierhergefunden hast!

Danke für deinen Kommentar und liebe Grüße,
ELsa

schlüsselworte hat gesagt…

liebe elsa,

das isr sehr sehr gut ... thema und ausführung!

du bist eine wunderbare prosa-autorin, mein liebe! ja ja.

herzlichst,
deine mo

Elsa Rieger hat gesagt…

Danke, liebe Mo *strahl*

Frohe Grüße
ELsa

Sabine hat gesagt…

Liebe Elsa,

auch ich fand mich in vielen Passagen deines
Textes wieder und bitte verzeih, ich musste
auch ein wenig schmunzeln. Das Leben beinhaltet
Chaos und Sonntage. Es ist immer ein Wechselspiel.
Solange wir die Liebe nicht verleugnen, gibt es
Hoffnung...

Grüße aus dem Norden
Sabine

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Sabine,

ich hoffe doch, dass du auch schmuzeln konntest! Das ist mir lieb! Denn schließlich ist alles zwischen Lachen und Weinen im Leben, nicht wahr?

Sei lieb gegrüßt,
ELsa

Anonym hat gesagt…

Liebe elsa, in den 68igern lebte ich in Italien.
Die manchmal übertriebene Wildheit ist zwar nicht bis zu mir gedrungen, aber mein Leben hat sich, wie bei uns allen, durch Euch Pioniere auch verändert.
Wir erzogen unsere Tochter frei von althergebrachten Ängsten und das war schon umwälzend.
Unsere Enkel, also die nächste Generation, zeigen uns, dass wir es richtig gemacht haben.

Die Welt aber scheint heute chaotischer denn je.
Oder richten wir zu sehr unseren Blick in diese Richtung, starren wie hypnotisiert auf das Chaos, das man uns vorsetzt und vergessen zu handeln?
Ich frage mich immer wieder was man machen könnte, aber wir sind so verquickt in das heutige Geschehen, dass uns alles Tun wie Flickwerk erscheinen muss.

Danke für Deinen interessanten Artikel.

♥ Barbara

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Barbara, ich danke DIR für deinen feinen Kommentar!

Sehr liebe Grüße aus dem Wald,
ELsa

Dieser Blog wird durch das Deutsche Literaturarchiv Marbach archiviert.

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