Wenn der Schwan singt ...
Diese Mühsal, durch noch Ungetanes
schwer und wie gebunden hinzugehn,
gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes.
Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen
jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn,
seinem ängstlichen Sich-Niederlassen:
in die Wasser, die ihn sanft empfangen
und die sich, wie glücklich und vergangen,
unter ihm zurückziehen, Flut um Flut;
während er unendlich still und sicher
immer mündiger und königlicher
und gelassener zu ziehn geruht.
schwer und wie gebunden hinzugehn,
gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes.
Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen
jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn,
seinem ängstlichen Sich-Niederlassen:
in die Wasser, die ihn sanft empfangen
und die sich, wie glücklich und vergangen,
unter ihm zurückziehen, Flut um Flut;
während er unendlich still und sicher
immer mündiger und königlicher
und gelassener zu ziehn geruht.
Rainer Maria Rilke, 1905/06, Meudon
Der See befand sich in einem Wildpark. Sie
hatte den ganzen Tag die Tiere betrachtet. Im Hirschgehege ging es munter zu,
da die männlichen Jungtiere so etwas wie Armdrücken mit ihren kleinen
Geweihen veranstalteten. Wer ist schöner, wer ist stärker.
„Ja, früh übt sich, wer ein Mann ...“,
lächelte sie.
Im Wildschweinbereich grunzte es,
manchmal quiekte eine Sau laut auf und biss eine andere weg. Der Keiler war
separiert.
„Weiber ...“, murmelte sie. Es gab auch
pfeifende Murmeltiere, meckernde Bergziegen und vieles mehr hier um den See
herum.
Nun war sie bei diesem Schwan gelandet. Erst
kürzlich hatte sie wieder das Schwanengedicht von Rilke in den Händen gehalten.
Als sie es seinerzeit in der Schule durchgenommen hatten, sagte der
Deutschlehrer: „Also ich find, die singen nicht, die pfeifen.“
Sie selbst pfiff aus dem letzten Loch, wie man
so sagt. Ihre Zeit war abgelaufen, der Krebs fraß ihre Lunge auf. Sie setzte
sich auf die Bank und sah dem Schwan zu, wie er seine Runden schwamm. Einer der
Flügel hing seltsam geknickt herunter. Der Schwan neigte immer wieder seinen
Kopf in die andere Richtung, um das Gleichgewicht zu halten, schien es ihr.
Dann kippte er tatsächlich zur Seite, sie
sprang auf. Er kam wieder in die Ausgangsstellung und schwamm nun dort ans
Ufer, wo sie stand. Etwas stimmte nicht mit dem Tier, sie spürte es. Langsam,
den Flügel nachziehend, torkelte der Schwan auf den Kiesstrand, kauerte
sich hin. Verbarg für einen Moment seinen Kopf unter dem gesunden Flügel. Dann
streckte er ihn aber in die Höhe, ganz lang wurde der schlanke Hals.
Und der Schwan sang! Er pfiff nicht, wie der
Lehrer damals gesagt hatte, nein, er sang. Und alle Tiere verstummten im
Umkreis. Es war völlig still, auch sie hielt den Atem an, so königlich erklang
das Lied des Schwans. Dann starb er.
Wenn der Schwan singt, schweigen die
Tiere. Sie hustete.
(c) ELsa Rieger (Text und Foto)
(c) ELsa Rieger (Text und Foto)
12 Kommentare:
schön, das gedicht von rilke, ich kannte es noch nicht. und dein text dazu, sehr gelungen. lg monika
Liebe Monika, danke sehr!
Ja, ich fand das gedicht auch so wunderbar, da fiel mir dann diese Kurzprosa ein dazu.
Liebe Grüße
ELsa
wieder einer dieser tollen kurzprosa-texte von dir, die ich so sehr liebe!
glg lintschi
Meine Güte, wie wundervoll und ergreifend und doch so durch und durch im Hier und Jetzt. Kein Zuviel an Pathos oder Rührung, einfach das Leben und Sterben - basta ...
und diese intensive Kraft deiner Worte!!
liebe Grüße
isabella
Ergreifend!!
..grüßt dich Monika herzlich
Hm ... singend sterben lernen - eine Lebensaufgabe -
LG
Barbara
Vielen herzlichen Dank, liebgewonnene Damen, die Reaktionen erfreuen mich sehr!
Liebe Grüße
Eure ELsa
Liebste Elsa!
Du berührst mich mit deinen wunderschönen Geschichten immer tief in meinem Herzen/Seele ♥
Danke dafür ♥
Ich schaue zu dir auf!
Bussi deine Ulrike :-*
Elsie,
das rührt, ja, Isabella hat es schon geschrieben, es ist das Leben....
Und du hast es aus dem Herzen geschrieben, anrührende Worte gefunden, ach, du Vielseitige, duuu, lächel...
ich drück dich lieb
deine Rachel
Oh, mit soviel Echo hab ich garnicht gerechnet.
Lieben Dank, Ulrike, Rachel, ich bin froh!
Busserln
ELsie
Ich kannte dieses Gedicht von Rilke nicht. Du hast einen einfühlsamen Kurztext dazu aus dem Leben der Tiere - es könnten auch Menschen sein - geschrieben. Chapeau. Ernst
Lieber Ernst, ich danke dir herzlich! Ganz liebe Grüße, Elsa
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