16. Juli 2015

Elsa Rieger, Ein Mann wie Papa - Neuauflage


Ein Mann wie Papa


Die Geschichte trägt vielfach autobiografische Züge, ist aber dennoch ein Roman. Mein Romandebüt. Nachdem der Vertrag mit dem Verlag, bei dem das Buch fünf Jahre lang gebunden war, nun ausgelaufen ist, habe ich mich entschlossen, »Ein Mann wie Papa« ein wenig zu überarbeiten und selbst neu aufzulegen, weil dies für mich eine Herzenssache ist.

Elsa Rieger


Klappentext

Marie ist jedes Mittel recht, um ein Treffen mit Paul zu arrangieren. Der Trick, sie würde ein Buch über ihn schreiben, funktioniert. Prompt willigt er ein, doch nach einem ersten Date macht er sich rar und taucht nicht einmal mehr in der Stammkneipe auf.
Kurz vor Weihnachten, als Marie die Hoffnung schon aufgegeben hat,  gibt Paul endlich bekannt, dass er nun soweit ist, sich auf eine Beziehung einzulassen. Maries Glück scheint so nah, würde Paul nicht zum Prüfstein ihres ganzen bisherigen Lebens.

Maries Impulsivität und ihr allzu großes Herz lassen sie von einem Konflikt in den nächsten stürzen. Da ist noch ihre drogenabhängige Schwester Julia, für die sie sich verantwortlich fühlt und ihr fast schon erwachsener Sohn Max, den sie wie eine Löwin liebt. Nebenbei versucht sie Pauls Vorstellungen von einer ausgeglichenen, reifen Beziehung zu erfüllen, für die sie sich ganz schön verbiegen muss.

Leseprobe

Lady in red

Neujahrsabend.

»Ich verreise für ein paar Tage«, sagt Paul.
»Ach so? Geschäftlich?«
Er lacht. »Was dachtest du?«
Und, weiter, denke ich. Dann sage ich es doch. »Wovon lebst du eigentlich?«
Jetzt wo es raus ist, verstehe ich gar nicht, warum ich ihn nicht schon längst danach gefragt habe.
»Weinhandel.«
»Dann bist du Alkoholiker?«, kichere ich über den Joke.
Kaum gesagt, steht Paul auf. »Ich finde das nicht komisch. Ich muss los.«
»Du wolltest doch mit uns essen.« Ich richte mich vorsichtig auf.
Paul drückt mich in den Sitz zurück, gibt mir einen Kuss auf die Wangen und weg ist er. Es war doch bloß ein blöder Witz. Will er mich etwa erziehen? Mist!

Eine Woche schon. Die Tage kleben grau und ausgekaut aneinander. Paul ruft nicht an. Wenn es läutet, ist Julia dran.
»Es ist so super, Schwesterlein, seit Chris fort ist.«
Mir hüpft jedes Mal das Herz vor Glück, was schert mich der Rest der Welt, wenn es ihr gut geht. »Ist er wirklich nach Jamaika geflogen?« Ich kann es kaum glauben.
Sie lacht wie ein Glöckchen. »Du musst großen Eindruck auf ihn gemacht haben.«
Wir schicken uns ein paar Küsse durchs Telefon, dann bin ich wieder allein in meinem Kaugummitag.
Oder Max’ Neue ruft an, und sie blockieren stundenlang die Leitung. Mit mir redet er kaum ein Wort. Wahrscheinlich hat er mir immer noch nicht verziehen. Da kann ich noch so sehr betonen, dass mir seine Frisur gefällt.
Mona fragt ständig nach Paul, ich könnte ihr ein Buch nach dem anderen an den Kopf werfen, warum lässt sie mich nicht in Ruhe. Es scheint ihr Spaß zu machen, mich zu quälen. Den ganzen Tag hoffe ich für einen einzigen Augenblick, wenn ich die knarrenden Stufen zu meiner Wohnung hochsteige und die Tür aufschließe. Dann pocht mein Herz wie wild. Wenn wieder keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter ist, setzt es aus.

Heute erinnert sich Max daran, dass er eine Mutter hat.
»Oma lässt dich grüßen«, richtet er mir aus und balanciert ein Stück Pizza in sein Zimmer.
»Hat noch jemand angerufen«, frage ich.
»Paul hat nicht angerufen«, antwortet er und ich muss über seine Unverschämtheit lachen. Kluges Kind!
Langsam werde ich wütend, was fällt Paul eigentlich ein? Wie kann er nach diesen wundervollen Tagen überhaupt ohne mich leben? Ich schenke mir einen Cognac ein.
»Trink nicht so viel, Mama.«
»Lass mich«, schnauze ich und kippe das Glas hinunter. Vom Zensor befreit, wähle ich Pauls Nummer.
»Haiiii«, meldet sich eine Frauenstimme.
Mir verschlägt’s die Sprache.
»Hallo, ist da ein Stummer dran?«
Das blöde Kichern halte ich nicht aus. Ich lege auf.
Rache!, zuckt es durch mein Hirn. Rache! Rache! Rache!
»Ich gehe aus«, sage ich zu Max, der mich besorgt ansieht. »Und ob ich ausgehe!«
Das Etuikleid aus Shantungseide modelliert meine Rundungen. Dass ich kaum atmen kann, tut nichts zur Sache. Im gleichen Rot bemale ich die Lippen, die Augen schminke ich à la Japonaise. Ich ziehe eine unsichtbare Boa aus Straußenfedern hinter mir her und übe vor dem Spiegel Hüftschwünge. Max bekommt einen Kuss.
»Na«, frage ich ihn.
»Toll, Mama.« Popcorn kauend starrt er auf die Mattscheibe.
Kaum stehe ich im Treppenhaus, klingelt das Telefon.
»Sie ist gerade weg«, sagt Max.
Das war bestimmt Paul.
Ich bin wie erstarrt. Sobald ich mich wieder bewegen kann, werde ich zurückgehen. Ich könnte doch so tun, als hätte ich was vergessen und nebenbei fragen, ob ich mich verhört hätte. Dann zuckt der Racheblitz wieder auf, die selten dämliche Stimme hallt piepsend durch meinen Kopf, sofort spüre ich die Schmach, ich mache auf dem Absatz kehrt, steige die Stufen hinunter und stöckle in die Nacht hinaus. Lady in red, eine Frau sieht rot. Ich werde mich bei Carlo sinnlos betrinken, mir macht das nämlich Spaß. Weinhändler! Spießer!

Nach Karl, dem autoritären Bäcker, hatte ich Spießern endgültig den Rücken gekehrt. War alles bisherige bloß ein Spiel gewesen, gab ich jetzt richtig Gas. Mein Papa war sowieso unterwegs. Er nannte es beruflich, doch inzwischen wusste ich, dass er log, und fühlte mich verraten und verlassen. Aber wenn Papa daheim war, hatten wir unglaublichen Spaß zusammen. Er spielte uns Balladen vor. Wir bevorzugten den Erlkönig: Als der Vater das Ziel erreicht, hat das Kind in die Windel gemacht und er hat seinen Teil davon abbekommen. Papa galoppierte auf einem unsichtbaren Schimmel durch die Wohnung, mimte einmal den Erlkönig, dann wieder seine Töchter mit schauerlich schlechten Ballettschritten. Wir lagen auf dem Boden vor Lachen. Plötzlich stolperte er und blieb wie tot liegen, bis wir vor Schreck zu schreien anfingen. Als Gutenachtgeschichte musste allabendlich Goethes Türmer herhalten. Sobald das Skelett beim Glockenschlag zerschellte, schliefen wir ein.
Papa gab immer seltener Gastspiele, je älter wir wurden.
Ich trat aufs Gas, unbeachtet, denn meine jüngeren Geschwister beanspruchten die ganze Aufmerksamkeit und Zuwendung Mamas.
Die Schule bedeutete mir gar nichts mehr, die Clique alles. Meine Freunde kamen aus verschiedenen Schichten. Tramper und Straßenmaler, Studenten, Beatniks, Schulverweigerer aus gutem Hause. Damals war mir nicht bewusst, dass ich versessen auf Liebe war. Liebe und Anerkennung machten mich trunken, sie waren meine Drogen. Und ich verschaffte sie mir.

Ich hoffe, bei Carlo Paul zu treffen. Ich habe meinen Auftritt inszeniert, lasse ein helles Lachen erklingen.
»Champagner, Carlo!« Die Bestellung unterstreiche ich mit einem Hüftschlenker. Eduard, ein alter Bekannter, steht vom Tisch auf und kommt zu mir.
»Warum bist denn so aufgemotzt, Marie?«
»So bin ich in Wahrheit!« Ich stecke eine Zigarette zwischen meine glutroten Lippen und bitte um Feuer.
»Nö. Bin doch Nichtraucher«, sagt er und winkt jemand anderem zu.
»Banause!« Ich lächle Carlo an.
So breit wie hoch er ist, zwinkert er mir zu. Ich weiß, dass er mich liebt. Er stellt sein Glas ab.
»Was planst du?«
»Männermord, warum?«
Carlo kratzt sich die Glatze. »An wen dachtest du?«
Ich beuge mich über die Theke, spüre wie sich die Seide um meinen Hintern spannt. Langsam richte ich mich wieder auf. »An Paul.«
Carlo zeigt mir einen Vogel. »Du spinnst, Marie, so einen netten Kerl findet man nicht oft.«
»Frau schon«, sage ich und gleite vom Hocker. Ich bin fest entschlossen, mir einen wundervollen Abend zu verschaffen. Ich flirte, was das Zeug hält. Sogar Carlo mache ich schöne Augen, aber er zeigt mir immer wieder einen Vogel.
Tief in mir weint die kleine Marie, ich ertränke sie mit noch mehr Sekt.

Später sitze ich auf dem Schoß eines fremden Mannes, der meinen Oberschenkel betatscht. Scheißsekt. Mein Magen rebelliert. Ich weiß, wie mein Lächeln wirkt. Sanft aber bestimmt schiebe ich seine Hand weg, da packt er zu, und ich versuche mich aus dem Griff zu winden. (...)

Ich freu mich sehr, dass das Buch wieder lieferbar ist:

 

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