6. Juni 2010



Nachts …

… wenn die Strassen Santa Claras in Dunkelheit versinken, die Hitze des vergangenen Tages warm und weich aus dem Asphalt hochsteigt, die Mauern glühenden Backöfen gleichen, dann, ja dann ist sie unterwegs in der Stadt. Schnell wie ein Windhauch fegt sie um Ecken, über Plätze, nachdem sie lange durch Landschaften zwischen Bolivien und Kuba unterwegs gewesen war. Auf der Suche nach ihm. Nacht für Nacht seit mehr als drei Jahrzehnten.

Sobald der Himmel milchgrau den bevorstehenden Sonnenaufgang ahnen lässt, stürzt sie zu Boden, zerfällt, um in der Dunkelheit neu zu erstehen, weinend zu suchen, ohne zu finden.

Manchmal, wenn ein später Spaziergänger ihr begegnet, vermeint er in dem Windstoß, der an ihm reißt, ein Rufen zu hören. „Che …“
Es ist wohl nur das Flattern eines halb losgelösten Plakates am Laternenpfahl.
„Che …“ So klingt es weh durch die Finsternis.

Sie starb am Rio Grande, etwas mehr als einen Monat vor dem Geliebten. Unsichtbar für die Lebenden begleitete sie ihn bis zu seinem Ende in Higueras. Als sein Leichnam verbrannt wurde, ging für La Guerrilla die Welt unter. Seine Seele nahm keinen Kontakt zu ihr auf und hatte sie verlassen. Er glaubte den anderen mehr als ihr, bezichtigte sie des Verrats an ihm und den Guerillas. Heute war der Tag gekommen, aufzugeben. Sie weht zum Mausoleum, streichelt den Stein, unter dem Ches Skelett beigesetzt ist. Kratzt mit toten Händen, sich einen Weg zu ihm zu graben. Vergebens. Schon dämmert der Morgen herauf ...

„Guck mal! Haben die da ein paar Knöchelchen Che Guevaras vergessen?“ Der Reiseleiter lacht und die Gruppe stimmt fröhlich ein.

***


Tamara Bunke – La guerrilla
Geboren am 19. 11. 1937 in Buenos Aires als Tochter deutscher Kommunisten, die vor dem deutschen Faschismus nach Argentinien emigrierten.
Lebte 1952 - 1961 in der DDR und von 1961 - 1964 in Kuba. War in La Paz, Bolivien, für die Guerilla tätig. Von der bolivianischen Armee am 21. 3. 1967 enttarnt, kämpfte sie daraufhin in der Guerilla an der Seite Che Guevaras, dessen Geliebte sie wurde.
War sie eine jugendliche Abenteurerin oder die berechnende Geheimagentin im Moskauer Auftrag?
Gefallen in Puerto Mauricio am Rio Grande am 31. 8. 1967, sieben Tage später wurde ihr Körper am Ufer des Rio Grande gefunden.
Che Guevara wurde am 9.10.1967 in Higueras. Erst 1997 fand man sein Skelett und bestattete es unter großen Feierlichkeiten im Mausoleum von Santa Clara.


(c) ELsa Rieger

5 Kommentare:

Phivos Nicolaides hat gesagt…

Very interesting. Hugs.

Elsa Rieger hat gesagt…

Thank you, dear Phivos!

Helmut Maier hat gesagt…

Sehr anrührend!

Liebe Grüße
Helmut

Rachel hat gesagt…

Liebe Elsa,

habe schon ein paar Mal Anlauf geholt, zu schreiben.

In mir ruft die T. Bunke die Erinnerung hervor.

SIE war eine echte Verfechterin des Sozialismus, war in der FDJ, war in der SED, stellte solchen Antrag und wurde doch geduldet, warum dann auch immer.
In mir ruft dies Zwiespältigkeit hervor. Ich habe hier auch gelebt, habe dieses sozialistische Spektakel nicht mit gemacht, war nie in einer Partei und hatte es dementsprechend auch sehr schwer.
Ihr standen alle Wege offen...
Auch der Ausgang ist offen...

Aber deine Gedanken dazu sind sehr gut. Ich sehe dies eben unter dem besonderen Blickwinkel als DDR-Kind, welches ich war, lächel...

ich drück dich fest und lieb, Rachel

Elsa Rieger hat gesagt…

Lieber Helmut,
danke schön!

Liebe Rachel,
ich verstehe den Zwiespalt sehr gut, auch mir ist derlei durch den Kopf gegangen, dennoch hat mich die Ebene der Liebe zwischen Revoluzzern hier interessiert, wobei auch hier ganz verschiedene Geschichten darüber erzählt werden. Sehr geheimnisvoll ...

Danke für deinen feinen Kommentar, ich drück dich auch,
ELsa

Dieser Blog wird durch das Deutsche Literaturarchiv Marbach archiviert.

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