11. Mai 2011


Herzkönig

Er zieht das Herz aus der Tasche, wirft es auf den Tisch. Der Lärm verschluckt das leise Geräusch, sie kann es spüren. ‚Ich liebe dich’, steht darauf. Mit zitternden Fingern umschließt sie das rote Perlmuttimitat.
„Nimm’s bloß nicht so ernst, ey!“ Er entdeckt einen Freund am Nebentisch, zwinkert ihm zu.
Sie kann nicht glauben, dass es ein Geschenk von ihm ist. Hat er es extra für sie gekauft? Er setzt sich neben sie und grinst seinen Kumpel an. Die Sprücheklopferei beginnt. Manchmal sieht er kurz in ihr Gesicht. Seine Blicke sind wie Blitze, die Hände groß, kräftig. Sie wünscht sich, von ihnen berührt zu werden. Er fährt durch ihr Gesicht, streicht über ihre Lippen. Dann erst zieht er die Jacke aus und ein, zwei, drei Pullover. Er trägt ein schwarzes Shirt, Jeans. Einen Nieten beschlagenen Gürtel. Sie will das Herz in die Tasche stecken. Es fällt zu Boden.
Sein Blick ist abweisend. Er trinkt. Schnaps. Bier. Schnaps. Noch ein Bier und zahlt. „Zwischenbilanz.“
Er grinst. „Weißt du, dein Gesicht ist schön ... willst du mit mir gehen? Woandershin. Ist mir zu hell und laut da.“ Sein Gesicht, der Körper, alles in Bewegung. Angespannte, nervöse Gesten. Selten Gelöstheit, wenn Musik nach seinem Geschmack ertönt. Hingabe für einen Augenblick. Ohne ihre Antwort abzuwarten, zieht er die Pullover wieder übereinander.
„Ciao“, ruft er dem Freund zu.
Schal, Jacke, er geht zur Tür, achtet nicht auf sie. Dennoch geht er langsam, will er ihr Zeit lassen, den Mantel anzuziehen? Sobald sie hinter ihm steht, stößt er die Tür auf.
„Scheißt du dich jetzt an, ey?“, sagt er und küsst sie erstmals. Die unrasierte Wange kratzt über ihre Haut.
„Ey, hast du Angst?“, bellt er.
Seine Augen funkeln, sie weicht zurück. Er greift nach ihr, lacht. Sie hält das Herz fest auf dem Weg zum nächsten Lokal.

„Er ist kaputt“, wirft ihr die Barfrau über die Theke zu, nachdem sie ihn beim Hereinkommen mit einem verletzten Blick bedacht hat. Männer, die auf Sofas an den Wänden sitzen, sagen: „Heho!“ und kommen an die Theke, umstellen beide. Er nennt ihre Namen, lauter gute Freunde. Sie gibt eine Runde aus. Sie gefällt. Sie ist eine Dame. Die alten Freunde flüstern.
Einer beginnt ein Gespräch mit ihr. „Also, ich kenne ihn wirklich sehr lange.“ Er kraust die Stirn.

Er streift die drei Pullover ab, strafft den Rücken. Zieht die Nase hoch, verzieht den Mund. Das Bier fließt durch seine Kehle. Mit einem Knall schlägt das Glas auf der Theke auf. Er rennt auf die Straße.
Sein Freund sagt, dass es ihm leid tut und: „Man weiß nie bei ihm ...“
Sie hört nicht mehr zu. Es ist kalt, die Pullover liegen auf dem Barhocker. Sie befürchtet, dass er nicht zurückkommt.
Die Frau hinter der Theke sagt: „Er kommt gleich wieder. Lass die Finger von ihm, er ist kaputt!“
Eine nach der anderen raucht sie. Befühlt das Herz.

Er reißt die Tür auf. Rot vor Kälte. Der Blick, den er ihr zuwirft, trifft. Er bestellt Schnaps, trinkt und lässt das Glas aus der Hand gleiten. Es zersplittert. Die Barfrau und er messen einander. Sie nimmt Schaufel und Besen, kauert sich zu ihren Füßen. Im Aufrichten flüstert sie ihr zu: „Wir waren einmal zusammen. Er ist ziemlich gemein. Jetzt will er dich.“
Er hat sie doch längst, sie vibriert bis in die Zehenspitzen.
„Wohin jetzt?“ Der Finger gleitet über ihre Wange.
„Scheißt du dich jetzt an?“, sagt sie draußen auf der Straße, probiert ein: „Ey!“
Da wird er weich, lacht und küsst.
„Zu mir?“
„Wohin sonst?“, sagt er.

Seine Zärtlichkeit ist flüchtig. Kühl die Leidenschaft. Sie fragt sich, was das nach dem Herz soll. Sein Bart kratzt über ihren Bauch. Sie bemüht sich um Lust, als er sie beobachtet.
„Du fährst voll ab auf mich“‚ sagt er.
Gegen Morgen verlässt er sie. Er ist leise.
„Ich werde dich anrufen“, sagt er noch in der Tür.

Sie blickt das Herz an. Es sind bloß drei Tage – Wochen für sie. Dann klingelt das Telefon. In ihrer Brust hämmert es, als sie seine Stimme hört.
„Hab ich vielleicht meinen Pullover bei dir vergessen?“
„Eins, zwei oder drei?“, fragt sie und hält sich am Tisch fest.
Schweigen.
„Nein. Du hast ihn in der Bar gelassen.“
„Shit.“ Es kracht in der Leitung. „Ey, dann muss ich dorthin.“
„Sicher. Wie geht es dir?“
„Gut. Und dir?“
„Auch gut. Danke.“ Sie hört seinen Atem.
„Ey, ich wünsch dir einen schönen Abend.“, sagt er gedehnt.
„Danke. Bis bald.“ Sie beißt sich auf die Lippen.
„Ja“, sagt er.
Gerade noch schafft sie es zur Toilette. Übergibt sich.

Sie schreibt einen Brief an ihn, wirft ihn an der Ecke ein, will im selben Moment den Briefkasten aufbrechen.
„Scheißt du dich jetzt an?“, fragt sie sich. „Ey!“ Sie muss lachen.
Zuhause sieht sie das Herz an. „Warum nicht einmal anders ...?“
Auf den Brief kommt keine Reaktion, sie weiß, dass sie ihn wirklich überfordert hat. Nur langsam schließen sich die Wunden. Das ‘Ich liebe Dich‘ dreht sich an der Schnur um sich selbst. Es baumelt von der Schreibtischlampe. Sie bemerkt es manchmal, wenn sie ab und zu das Licht anknipst. Dann brennen auch die Narben.

Als sie ihm viele Wochen später in der Fußgängerzone begegnet, weiß sie noch Wort für Wort. Alles, was sie ihm sagen wollte. Weder berührt er ihr Gesicht, noch verdunkelt sich sein Blick. Er tritt von einem Fuß auf den anderen.
„Dein Brief ... zu heavy für mich ... so starke Gefühle, ey, das ist nichts für mich ... naja. War aber ein hübscher Brief, ehrlich. Also dann, muss weiter. Ciao, Lady.“
Sie sieht zu, wie die Menge seine Gestalt verschlingt und wirft das Herz in den nächsten Müllkorb.


(c) ELsa Rieger

11 Kommentare:

herbst.zeitlosen hat gesagt…

chapeau zurück - typischer fall von überforderung, sehr gut beschrieben. der fade nachgeschmack bleibt. warum hat frau sich d e n gegeben, sie wusste doch von anfang an, dass sie ihn nicht knacken kann. alas ... auf ein neues

monika

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Monika,

danke, wie lieb von dir!

Warum diese Frau das trotz allem tut, sie ist eben klassischer Fall von Beziehungssucht (wahrscheinlich hat ihr Vater auch schon gesoffen)...

Liebe Grüße
ELsa

syntaxia hat gesagt…

Tja, wenn wir das mal immer schon vorher wüssten, wie wir reagieren und was wir uns da wieder geben... ;-)

Reden von außen bringt sicher nichts, frau muss es selbst erfahren, um es zu glauben.

Wieder eine feiner tiefer Text, ELsa

..grüßt dich Monika

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Monika,

Richtig, Frau weiß es oft nicht oder will es nicht wissen ...

Danke dir,
liebe Grüße
ELsa

Anonym hat gesagt…

Sein Herz zu verschenken, ist auch nicht mehr das, was es früher einmal war ;-)

LG
Barbara

Elsa Rieger hat gesagt…

Hihi, lieber Barbara: Treffer!

Herzlich,
ELsa

Anna-Lena hat gesagt…

Je härter die Nuss, desto größer das Bedürfnis, sie zu knacken. Ich habe mich aus meiner späten Jugend wieder erkannt. Langweiler und schnell zu durchschauende Männer waren nie ein Thema für mich.

Liebe Grüße
in den Sonntag,

Anna-Lena

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Anna-Lena,

ich muss lachen. Genau! Die langweiligen, verlässlichen wollten wir nie. Früher. ;-)

Liebe Grüße
ELsa

grenzen-los-zeit-los hat gesagt…

nun muss ich lachen, liebe Elsa, über das Wort f r ü h e r ..es wäre heute noch genauso ...smile einen lieben Gruß von Ursa

Elsa Rieger hat gesagt…

Ich lache mit dir liebe Ursa,
weil so wollte ich es interpretiert wissen, wie von dir!

Wir verstehen uns!

Herzlich
ELsa

unbegrenzte Möglichkeiten hat gesagt…

ja, liebe Elsa !!! Sehe ich genauso ... :-) lieben Gruß Ursa

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