15. August 2009



Ochsenhunger

Gestern war kein guter Tag.
Ich spüre es in meiner wunden Kehle.
An der nagenden Ratte in mir.

Nur ein Brocken Brot.
Langsam das Erdige herausgelutscht.
Die Ähren im Sommerwind. Gold.

Das Tier im Bauch lacht nur.
Nagt und nagt und nagt.
Lockt. Nur noch heute. Nachgeben.


by ELsa
Bild: Lilya Corneli

21 Kommentare:

BeatrixB hat gesagt…

zum Niederknien, Elsa, zum Niederknien

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Bea, ja? So lange arbeite ich schon daran, ich bin froh über dieses tolle Lob!

Dankesgruß
ELsa

LitTalk hat gesagt…

Die viele Arbeit merkt man. Leider gibt man die Gedichte zumeist immer zu früh heraus. Aber dieses Gedicht ist ausgereift! Es hat u.a. die "Einmaligkeit" als künstlerische Komponente, die man sich wünscht, aber leider nur zu selten zustande bringt.

tjm.

petros hat gesagt…

"Ochsenhunger"... was für ein Titel.
Gruß
Petros

Elsa Rieger hat gesagt…

Lieber Reinhard, ich danke dir sehr! Das Lob eines so reifen Lyrikers ist mir eine Ehre.

Lieber Petros, das Wort "Ochsenhunger" ist die Übersetzung für das griechische Wort: Bulimie

Dankesgrüße
Elsa

Anonym hat gesagt…

jeder Tag von Neuem ein anstrengender Anlauf, von dem man weiß, er wird nichts ändern.
Nur noch heute. Fad schmeckt der Satz.

Liebe Elsa, Dein Gedicht ist - beeindruckend.

Helmut Maier hat gesagt…

Das Locken: "Nur noch heute" als Ratte gesehen - viel besser als das alte Strauß-Zitat von den "Ratten und Schmeißfliegen" (aber vielleicht hatte er ja auch mit einer Ratte zu kämpfen, die e r keinesfalls zugeben wollte.

Liebe Grüße
Helmut

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Barbara, vielen Dank fürs Lob.

Lieber Helmut, auch ein liebes Danke. Und: Wer gibt die Ratten schon gern zu? :-)

Liebe Grüße
ELsa

Gerda hat gesagt…

Bei soviel Lob trau ich mich kaum noch, liebe Elsa, aber ich denke, dass ich dir das sagen (muss) darf: Der Titel ist toll ...
aber die Bilder gehen für mich nicht auf. Verstehe mich bitte nicht falsch, ich habe nichts gegen einen Bruch in der Lyrik (kennst mich ja a bisserl) aber hier geht nichts zusammen. Da ist der "Ochsenhunger", die "Nagenden Ratten" (mal abgesehen von den Dopplungen) und die "Wunde Kehle".
Auch bist du unentschieden, was die Gefühle des Lyrich angeht, ob du sie nun in Bildern ausdrücken magst oder direkt aussprechen.
Ich bin ehrlich gesagt ziemlich ratlos...

Liebe Grüße
Gerda

Миррослав Б Душанић hat gesagt…

Nicht gegen „Brüche in der Lyrik“, was aber dann…? Sagen Sie bitte einfach: „Mir gefällt es nicht.“, dass ich auch dieser Kommentar ein bisschen nachvollziehen kann. Ratlos!

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Gerda,

Danke für deinen Kommentar. Es macht ja nichts, wenn du mit dem Text nichts anfangen kannst, danke aber dennoch für die Erklärung, warum.

Liebe Grüße
ELsa

Gerda hat gesagt…

Liebe Elsa, die von dir eingesetzten stilistischen Mittel, also das "Kleid" des Textes habe ich oben bereits kritisiert. Nun ans Innere: Du hast versucht, wenn meine Interpretation stimmt, den Zustand einer/s Bulimiekranken zu beschreiben.
Imho bleibt das Zentrum allen Übels hier völlig Außen vor. Was passiert im Kopf des Kranken? (Nur: "Das Erdige herauslutschen?").Du beschäftigst dich meiner Ansicht nach mit den Symptomen, die im Körper für Unruhe sorgen und auch die sind nur skizziert.
Das überzeugt mich nicht, klingt für so, als ob du versucht hättest, dir auszumalen wie Bulimie sein könnte.
Ob es von dir gewollt ist, dass ich mich in deinem Blog, ernsthaft mit diesem Text auseinandersetze weiß ich nicht recht. ... Sag Bescheid, ob es dir passt. Ich fühle mich unwohl und von ex-il@miro auch ein wenig abgekanzelt, mache und mag solche ins Detail gehenden Texterörterungen im Netz schon länger nicht mehr gern ... Hätte den Mund halten sollen. Es gibt so viele Stimmen, die den Text gut finden.
Sorry und gute Nacht.
D. G.

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Gerda, wie schon privat mit dir geschrieben, ist ein Blog nicht die rechte Plattform für Textarbeit. Ich danke dir dennoch für deine Mühe und Überlegungen. AutorInnen zeigen etwas her, die KollegInnen oder andere LeserInnen kommentieren, wenn ihnen etwas dazu einfällt oder sie es mögen. Meist bleiben Texte, die nicht entsprechen, unkommentiert. Ich habe dir hier noch eine Replik einen Kollegen hereingesetzt, möchte es dir gern zeigen, weil es viele Möglichkeiten der Interpretation dieses Gedichtes gibt:
Zitat:
gar nicht so einfach, Dein Gedicht, wie es im ersten Augenblick scheint.

Im Anschluss an die berichthafte Beschreibung einer Tatsache, das LI leidet körperlichen Hunger und kann diesen Hunger nicht stillen, stellst Du das bedrohlich animalische Bild einer schmarotzenden, bösartigen Ratte, die sich vom körperlichen Inneren aber vielleicht auch von oder an der geistigen Innenwelt des LI nährt; das bleibt offen. Das Bild selbst ist deutlich und fast körperlich spürbar.

Das LI klammert sich an den bildhaften Wunsch nach nur einem Stückchen Brot als Mindestmaß. Dann folgt die sprachliche Überhöhung dieses Wunsches, die idelle Umdeutung des Brotbrockens in der Grenzsituation des Hungerns: Da wird die Speise in der denkbar intensivster Weise aufgenommen und eingesogen ("Langsam das Erdige herausgelutscht"). Dann weiter wird das Brotstückchen in der Phantasie des LI in seine Ursprünglichkeit zurückgeführt dabei gleichzeitig zu einem Vielfachen multipliziert ("Ähren im Sommerwind"); und mehr noch, der "wahre" Wert der Nahrung wird aufgewogen, mit dem Wertvollsten, was die dingliche Welt den Menschen zu bieten hat: Gold.

Aber Phantasien machen nicht satt, und der Hunger, das böse Tier im Bauch nagt weiter und zwar deutlich heftiger, wie die 3fache Wortwiederholung anzeigt.

Es wird aber noch schlimmer: Das Hungertier im Bauch geht speziell an diesem Tag über das reine "Nagen" hinaus: Es lockt. Womit? An dieser Stelle würde ich mich dafür entscheiden, dass das Tier mit dem "Tod" lockt, der Tod als Ausweg vor der unendlichen Pein. Das "Locken" impliziert aber eine Entscheidungsmöglichkeit des LI. Der Satz "Nur noch heute." scheint dies zu bestätigen. Und die Feststellung "Nachgeben." dokumentiert, dass das LI den Widerstand möglicherwiese aufgeben will oder ihn bereits aufgegeben hat und sich nun in das (unausweichliche?) Schicksal fügt.

Wenn das Gedicht nicht "Ochsenhunger" hieße, würde ich viel konkreter annehmen, dass sich um einen mentalen Hunger nach bestimmten Werten handelt, aber "Ochsenhunger" ist ziemlich körperlich. Da der Begriff "Ochsenhunger" bei uns im Rheinland nicht gebräuchlich ist (hier hat man es mehr mit den Wölfen), habe ich vorsichtshalber gekugelt: Oeconomischen Encyclopädie (1773 - 1858) von J. G. Krünitz: "Ochsenhunger, ein hoher Grad des Hungers, besonders ein widernatürlicher bey dem Viehe, der auch Hundshunger, Wolfshunger genannt wird". - Von daher bleibt mir unklar, warum die Schilderung am Anfang des Gedichtes noch so, wie soll ich sagen, so halbironisch die Situation konstatierend und "relativ" gesund klingt, wenn letzten Endes der Tod doch schon so nahe ist.

Dafür finde ich als Erklärung nur die Todessehnsucht (im romantischen Sinne), eine Herbeiwünschen des Zustands "Tod" als Seinsform. Somit könnte sich der Wunsch nach "Tod" nicht aus körperlich bedingtem Hunger begründen, sondern aus einem geistigen, seelsichen Hunger - nach Anerkennung, Liebe etwa.

Zitatende

Liebe Gerda, diese Replik kommt ganz und gar an die Intention meines Textes heran, wie gesagt, man kann nicht jeden Geschmack treffen.

Herzliche Grüße
ELsa

Миррослав Б Душанић hat gesagt…

jahrelang arbeite ich mit „Suchtkranken“ - sie erstaunen, dass über ihren Leiden so viel gesagt wird mit so wenig Worten…

Elsa Rieger hat gesagt…

Lieber Miro,

Vielen Dank für das Feedback. Es freut mich, dass man damit etwas anfangen kann!

Liebe Grüße
Elsa

Anonym hat gesagt…

Liebe Elsa, nach allen Diskussionen hier habe ich Dein Gedicht noch einmal gelesen.
Ein unbequemes Thema hast Du tief durchdacht:
Den nagenden nicht zu besänftigende Hunger, nicht nur nach Brot, hättest Du nicht besser darstellen können, als durch dieses Nagetier.
Was für eine Ästhetik in der dritten Strophe! Auf mich wirkt sie, wie der letzte gekonnte Pinselstrich des Malers, der seinem Werk etwas Unverwechselbares gibt.

Liebe Elsa, ich danke Dir für Deinen Kommentar bei meinem Gedicht "Die Sonne steht im Zenith". Dein Lob freut mich sehr.

Liebe Grüße
Barbara

Elsa Rieger hat gesagt…

Liebe Barbara,

Danke herzlich für deine neuerliche Wortmeldung und die Begründung, was du an dem Text schätzt. Deine "Sonne" ist auch was ganz Besonderes.

Liebe Gerda,

Ich habe natürlich nachgedacht über die Kritikpunkte, Quintessenz ist: Imho bleibt das Zentrum allen Übels hier völlig Außen vor.

Ich meine jedoch, da ich aus der Sicht des LIs darüber schreibe und dieses sein Übel kennt, es hier nur gefühlsmäßig reflektiert, nicht erklären soll, passt es für mich in der Form.

Liebe Grüße,
Elsa

petros hat gesagt…

Aus-ein-ander-setzung

Hier hagelt's Kritik
Zeitgleich auch Loben
Ein starkes Gefühl
Sichtweisen toben
Ein Vers der berührt
Nachdenken schürt

Was will Dichter mehr
Das Leicht und das Schwer
Wort und Bild wiegen
Das Eisen sich biegen
Daunen sich härten
Zu blaublauem Stahl


Gruß
Petros

Elsa Rieger hat gesagt…

Lieber Petros,

Herzlichen Dank fürs Kommentargedicht zu den interessanten Kommentaren.

Liebe Grüße
ELsa

Fabian hat gesagt…

Nun wollte ich eben ein paar Zeilen mit dem Titel Stierdurst schreiben, doch nun traue ich mich gar nicht mehr, zu undurchdacht wären meine Zeilen gewesen :-)

Ich finde deinen Text spannend!

Schöne Grüße aus einer bulimiekranken Stadt
Fabian

Elsa Rieger hat gesagt…

Hi Fabian,

Wäre aber schon gespannt auf "Stierdurst" gewesen!

Danke dir und Grüße nach Berlin,
ELsa

Dieser Blog wird durch das Deutsche Literaturarchiv Marbach archiviert.

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