Rock'n'Roll. Ein Mann findet seinen Weg.
Leseprobe:
Eine
Begegnung der dritten Art
Am nächsten Morgen,
als er durch den Hydepark joggte, hörte er plötzlich hinter sich rufen: „Good
morning, my friend!“
Paul lief weiter.
Der Unbekannte
hängte sich an seine Fersen. Keuchend stieß er hervor: „Hey man! Stop!“
Jetzt liefen sie
auf gleicher Höhe. Aus dem Augenwinkel bemerkte Paul, dass dünne Zöpfe um den
Kopf des anderen auf und ab hüpften.
Mit letzter Kraft
flüsterte der Erschöpfte heiser: „Ich sah dich in Eddies Bar gestern im Abend.
Tust du erinnern?“
Paul lief
langsamer, blieb schließlich stehen. Der Zöpfchenmann warf sich schwer atmend
auf den feuchten Rasen.
„O boy! Furchtbar!
Churchill sagte: No sports. Er hatte recht.“
Paul dehnte sich
und rieb die Beinmuskulatur mit Franzbranntwein ein, den er stets in einem
kleinen Fläschchen mit sich trug.
„Stinkt wie
Katzenpisse“, sagte Bob M. Henderson. Er grinste. „Katzenpisse ist ein schönes
deutsches Wort, ist es nicht?“
Paul ergriff Bobs
ausgestreckte Hand und zog ihn hoch.
„Danke, mein
Freund. Wir sollten trinken ein Bier zusammen.“ Bob verzog das Gesicht und
wischte die Hand im Gras ab. „Terrible.“
Paul schaute
griesgrämig drein.
Bob zuckte die
Schultern, „Never mind.“
Gemeinsam
schlenderten sie durch den Hydepark.
„Was bedeutet das M
in deinem Namen?“, fragte Paul.
„Marley. Bob
Marley! Rastaman, Sänger, Musiker, du verstehst? Reggae.“
„Ja, ja, ich kenne
Bob Marley. Er ist tot, das arme Schwein.“
„Sie haben ihn
gebracht um!“, empörte sich Bob.
„Der hat sich ganz
allein umgebracht, mein Lieber! Mit Haschisch.“
„What!?“
„Na, Drogen!“
Energisch
schüttelte Bob den Kopf, so dass die Zöpfe wie ein Karussell um ihn
herumkreiselten.
„Nein, Mann! Von
das Dope man stirbt nicht! Er ist gemordet!“
„Wir wollen nicht
streiten“, lenkte Paul ein, „Bob Marley war ein wunderbarer Musiker“, sagte er
mit Nachdruck.
Bob nickte
besänftigt. Sie hatten den Park verlassen und Bob ging zielstrebig auf eine
Harley Davidson zu.
„Sie heißt Lizzy,
gefällt?“
Der Rahmen war mit
roten und weißen Glühlämpchen verziert, auf dem ganzen Motorrad glitzerte
applizierter Chrom- und Messingschmuck.
Bob klopfte auf die
golden glänzende Rückenlehne.
„Gold! 14 Karat. Es
ist gut, ist es nicht?“
„Großartig“, meinte
Paul ungläubig.
Bob schwang sich
auf den Sitz und startete.
„Komm!“
Paul umklammerte
Bobs Hüften. Röhrend setzte sich das Monstrum in Bewegung. Er saß zum ersten
Mal auf einer solchen Maschine und war angenehm überrascht, wie komfortabel das
Fahrgefühl war. Paul fühlte sich frei und glücklich, er brüllte in Bobs Ohr:
„Wonderful!“
„Yeah!“, schrie
dieser zurück.
Die
zauberhafte Hexe
Vor einem
stillgelegten Fabriksgebäude nahe Notting Hill hielt Bob an.
„My castle.“
„Ah“, sagte Paul.
Es freute ihn, dass er zum Joggen nur ein paar Münzen eingesteckt hatte. Die
vier Typen, die rauchend vor dem Haustor standen, erweckten nicht gerade sein
Vertrauen. Bob nickte ihnen zu. Paul folgte ihm eilig ins Haus. Die ehemalige
Werkshalle der Fabrik war in Wohneinheiten unterteilt und ausgebaut worden. Einige
Türen standen offen, Paul sah im Vorbeigehen auf Staffeleien und Scheinwerfer.
Am Ende des Flurs
stiegen sie in einen Lastenaufzug.
„Hier leben nur
Maler und Photographers. Du hast einigen von ihnen eben gesehen in die Straße,
wie sagt man: to gasp for breath?“
„Zum
Luftschnappen“, übersetzte Paul.
Noch ein Wort, das
Bob zum Lachen brachte. Er wiederholte es einige Male, bis er es intus hatte.
Ganz oben angekommen, öffnete er eine blaulackierte Tür. Beim Eintreten
schnappte Paul nach Luft. Ein großer heller Raum eröffnete sich ihm, an den
Wänden lehnten unzählige Leinwände.
Weißlackierte
Dielen trennten den Schlafbereich vom Atelier mit den schwarz-weißen Fliesen,
auf denen ein drei Meter langer Arbeitstisch stand. Ein Durcheinander aus
Farbtuben, Paletten, Dosen und Tiegeln, daneben zwei unfertige Gemälde, jedes
auf einer Staffelei.
„Maler?“, fragte
Paul überrascht, er hatte in Bob einen Fotografen vermutet.
Inmitten des
Ateliers befand sich eine Landschaft aus grünen Cordsamtpolstern, umgeben von
Beistelltischchen mit Büchern, Zeitschriften und überquellenden Aschenbechern.
Das ist ja ein ganz
armer Schlucker, dachte Paul, als er den original japanischen Futon in der Ecke
sah. Er wusste, wie teuer sie waren. Jetzt glaubte er auch an die vergoldete
Rückenlehne. Gegenüber, auf einem schwarz gefliesten Podest, war eine Küche
eingepasst. An der langen Wand zwischen Küche und Futon stand ein großer Würfel
aus Milchglas.
„Das Badraum“,
erklärte Bob, der mit zwei Flaschen Bier vom Küchenpodest sprang. Sie versanken
in der Sitzlandschaft. Paul erschlug der Luxus. Wenn der Typ nicht kaffeebraun
wäre, hätte er auch noch ein Solarium.
Bob prostete ihm
zu.
„Du musst meine
Bilder sehen, später.“
„Unbedingt.“ Paul
platzte fast vor Neugier auf die Bilder, die ein derart exklusives Leben
ermöglichten. Er musste für seine Prämien monatelang hart arbeiten. Er sah Bob
beim Stopfen einer Meerschaumpfeife zu und trank einen großen Schluck Bier. Die
Tür wurde aufgerissen. Unfähig bei dem Anblick des Mädchens zu denken, starrte
Paul sie an.
„Hi, Sam. Samantha
– Paul, Paul – Samantha“, stellte Bob vor.
Die feenhafte
Schönheit hauchte Paul mit „Hi“ an.
„Samantha ...“,
stotterte Paul.
Sie ließ sich auf
das Kissen neben ihm nieder.
„Was ist mit dir,
mein Freund?“, fragte Bob besorgt.
„She looks like an
angel ...“
Samanthas Lachen
perlte durch das Zimmer, „Thank’s!“
„My Goodness! Sie
ist eine Hexe!“ Bob verdrehte die Augen.
„Und wenn sie der
Teufel persönlich wäre ... eine Stunde mit ihr tausche ich gegen meine Seele.“
Sein Blick glitt
über das schimmernde Haar. Es reichte ihr bis zu den schmalen Hüften. Ihre
schrägstehenden grünen Augen blitzten. Paul hörte nicht auf das, was sie zu Bob
sagte, so sehr war er in ihren Anblick versunken.
Als sie sich
verabschiedete, erhob er sich.
„Is it possible to
see you tonight?”, fragte er sie.
„Ich nehme dich
Morgen mit auf diese Party. Sam wird dort sein“, sagte Bob.
„Ich habe noch nie
eine so schöne Frau gesehen.“
Paul taumelte zum
Sofa zurück.
„Du musst lassen
die Finger davon. Sie verdreht dir nicht nur die Kopf, sie reißt ihn dir ab.“ (...)
Elsa Rieger, Rock'n'Roll
4 Kommentare:
Elsie,
und wieder bin ich total beeindruckt von dieser wunderbaren Erzählerin, die du bist!!!
ich drück dich lieb
deine Rachel
Oh, wie lieb von dir, meine liebe Rachel, da strahl ich einmal mehr, hach!
Ich drück dich herzlich,
deine Elsa
Ich mag nicht gern lesen, längere Texte schrecken mich schon ab. Aber wenn ich bei dir lese, muss ich fertig lesen! Da vergesse ich, dass ich nicht gern lese - ich vergesse überhaupt dass ich lese, ich bin sofort drin in deiner Geschichte!
Danke dafür!!
Möge es vielen LeserInnen ebenso gehen und du viel Erfolg damit haben, liebe ELsa!
..grüßt dich Monika herzlich
Liebe Monika,
was für ein herzerfrischender Kommentar, hab vielen Dank, du Liebe!
Liebe Grüße
ELsa
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