25. April 2008
Die Blume des Bösen
Oskar rannte in eine Sackgasse. Er glaubte seine Panik riechen zu können oder war
es nur der Gestank aus den Gullys? Das Wetter würde umschlagen! Da türmte sich eine
Mauer aus gestapelten Bierkisten auf und versperrte ihm den Durchgang.
Jetzt haben sie mich gleich, dachte er und sein Herz tat einen Schlag wie ein Stein.
Oskar strauchelte, seine Brille rutschte von der Nase und zerbrach. Der Kleinere der beiden Männer kam mit erhobener Faust auf ihn zu, der andere geduckt. Schnell zog Oskar den Zettel aus der Hosentasche und schluckte ihn, bevor die Faust seinen Kopf traf. Er fiel vornüber in die Gosse. Beide traten zu. Sein Körper glühte vor Schmerz.
„Hör auf jetzt!“ befahl der Kleine und hielt inne. „Erst den Zettel.“
„Schon gut, Jack.“
Sie schleiften Oskar unter die Straßenlampe und durchsuchten ihn.
„Nix!“
„Scheiße! Was machen wir jetzt?“
„Halt’s Maul, Horst, ich muss nachdenken!“
Oskar leckte das Blut von seinen Lippen. Horst zerrte ihn hoch, doch seine Knie knickten ein.
„Stell dich nicht so an!“ knurrte Jack, „wir nehmen ihn mit!“
Offenbar hatte Jack das Sagen, er ging voraus, während Horst Oskar vor sich her schob.
Vor einem Transporter hielten sie an. Der Kleine schloss die Hecktüre auf und Oskar wurde hinein gestoßen.
Drinnen banden sie ihn auf ein Brett. Horst verklebte ihm den Mund mit Paketband.
„Was nun?“, fragte er kleinlaut.
„Was nun. Was nun“, äffte Jack ihn nach, „ohne den Zettel….“ Er pfiff durch die Zähne. „Na klar, er hat ihn verschluckt.“ Mit dem Ellenbogen stieß er Horst in die Seite und beide fingen sie an zu lachen. „Dann macht der Chef es noch ein Mal!“
Oskar riss die Augen auf. An den Wänden des Transporters stapelten sich Pakete. Auf einer Art Board, über dem eine Rolle Packpapier in einer Abreißhalterung angebracht war, lagen Schnur, Brieföffner und Kugelschreiber. Am Haken hingen zwei braune Overalls mit Wappen.
Horst nahm den Brieföffner und teste die Schärfe an seiner Fingerspitze. „Auweia!“
Er klatschte auf Oskars Oberschenkel. „Was haben wir denn da?“
„Was?“ Jack klang genervt.
„Der hat sich in die Hose gemacht!“
„Lass den Quatsch und mach hin!“, zischte Jack zurück.
Oskar schloss die Augen, er dachte an die vier Bier, die er vorhin in der Kneipe getrunken hatte. Langsam dämmerte es ihm. Klar, in dem Romanmanuskript, das er zuletzt abgelehnt hatte, war so was vorgekommen. Ein Serienmörder stellte berühmte Lyrikmorde nach. Mit der „kleinen Aster“ hatte es begonnen. Oskar war seit 15 Jahren Lektor in dem renommierten Verlag, der auch Klassiker und Lyrik herausgab. Er hatte den Plot reichlich albern gefunden und das dem Autor, einem Pete Petrella, unverblümt mitgeteilt.
Horst fing an, Packpapier abzurollen. In der Zwischenzeit schlüpfte Jack in einen der Overalls, setzte seine Kappe auf und kletterte nach vorn. Der Transporter setzte sich in Bewegung. Um Oskar wurde es dunkel und er drohte zu ersticken. In letzter Sekunde stach ihm eine Bleistiftspitze in die Nase. Durch das winzige Loch versuchte er zu atmen, dabei knackte das Papier leise. Um nicht vor Panik den Verstand zu verlieren konzentrierte sich Oskar auf die Bewegungen des Wagens und das Gedröhne des Motors.
Was war er doch für ein hochmütiger Idiot! Warum hatte er nicht einen der höflich formulierten Serienbriefe verwendet, wie es sonst seine Art war: Sehr geehrter Herr Petrella, es tut uns Leid, blablabla, der Verlag hat momentan keine Verwendung, lablabla. Aber er wusste genau warum. „Die kleine Aster“ war eines seiner Lieblingsgedichte und es war dieser blöde Mafianame, der ihn zusätzlich reizte, ein selten dämliches Pseudonym! Pseudonym?
Heute war dann dieses Paket gekommen, die Nachbarin hatte es für ihn entgegengenommen. Er hatte keinen Absender gefunden, nur sein Name und die Gottfried-Bennstraße 17. Wer hätte es zu UPS zurückgetragen? Keine Minute hatte es gedauert und Oskar bearbeitete mit der Küchenschere das Paket. Nach einer weiteren Minute war die Schnur durchtrennt, das Packpapier geöffnet und der Deckel der Schachtel abgehoben. Da war es zu spät.
Die lila Aster inmitten blutgetränkter Holzspäne ließ Oskar vor Entsetzen würgen. Auf einem Fetzen Papier, der sich an den Rändern braunrosa verfärbt hatte, stand: „Trink dich satt! P.P.“ hingeschmiert mit dem Kugelschreiber.
Oskar hatte den Zettel eingesteckt und war die Treppen hinunter in seine Stammkneipe gerannt, er musste unter Menschen. Zur Beruhigung seiner Nerven bestellte er ein Bier. Als er es ausgetrunken hatte, kam ihm die Idee. Er würde dem Autor einen höflichen Brief schreiben, gleich morgen, ein entsetzlicher Irrtum sei geschehen und der Verlag wäre sehr wohl am Manuskript interessiert.
Darauf hatte er noch ein Bier und noch eins bestellt, denn er hatte keine Ahnung, wie er seinem Chef einen solchen Roman plausibel machen sollte. Aber eins nach dem anderen. Dann waren plötzlich diese Typen aufgetaucht und hatten den Wirt nach einem Oskar gefragt. Als er losrannte, flog der Stuhl um.
Der Van ging mit Tempo um die Kurve, die Schräglage riss an Oskars Körper. Ihm wurde schlecht vor Schmerz. Vorne gab es Tumult. Die beiden waren in Streit geraten, Horst schrie. „Mach doch langsamer Jack!“
„Sag mir nicht, wie ich fahren soll, du Pfeife. Und halt’s Maul!“, brüllte er zurück.
Es wurde scharf gebremst, dann spürte Oskar einen Schlag und rutschte mit dem Brett durch die Hecktür auf die Straße.
„Ihr Arschlöcher, könnt’s ihr net aufpasse?“, hörte er eine aufgebrachte Stimme.
„Ist doch nur Blech!“, konstatierte Jack.
„Ist doch nicht Schlimmes passiert“, setzte Horst hintendrein.
„Halt’s Maul! Lass mich reden!“
„Am beschte, ich ruf die Polizei“, hörte Oskar den Geschädigten sagen.
„Das regeln wir so.“ Eine ganze Weile war es still.
„Nix für ungut.“
„Warum so viel!“, fragte Horst gedrückt.
„Halt’s Maul und los!“ zischte Jack.
Kurz darauf startete der Transporter.
„Halt!“, schrie eine aufgeregte Frauenstimme. „Halt! Sie haben ein Paket verloren!“
„Halt’s Maul!“ dachte Oskar.
by Elsa Rieger & Judith Lasar
Gemälde: Kandinsky, Twilight
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2 Kommentare:
Excellent work!
You are Master!
Thank you and have a nice weekend
Thank you so, David!
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